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Richtlinie und Verantwortung

Je länger ich in der Schule bin, desto stärker festigt sich der Gedanke, dass allzu strikte Regeln und Verhaltensmaßgaben Menschen zur Verantwortungslosigkeit erziehen. Aktueller Auslöser zu diesem Gedanken war die Neuregelung der ‚Verkehrsführung‘ einer Unterführung, die sowohl Fußgänger als auch Radfahrer nutzen. Seit kurzer Zeit ist diese breite Unterführung, die bergab und um die Kurve führt, in einen schmalen Teil für Fußgänger und einen breiteren für Radfahrer mit entsprechenden Symbolen und Linie auf dem Boden markiert. Das mag in dem ein oder anderen Fall auch sinnvoll sein, weil so wahrscheinlicher Zusammenstöße zwischen Kinderwagen und Radfahrern vermieden werden könnten. Allerdings kam mir, als ich eben mit einem Freund dort spazieren ging, der Gedanke, dass die Markierung langfristig den genau gegenteiligen Effekt haben könnte: Statt vorsichtig um die Kurve zu fahren, weil ja auch Fußgänger die Unterführung nutzen könnten, würde sich ein Radfahrer wohl recht schnell auf die markierten Verkehrsregeln verlassen und so die Verantwortung für sein Handeln dieser Wegstruktur übertragen. Ob nun ein oder mehrere Fußgänger sich hinter der Kurve befinden, wird dann irrelevant und führt vielleicht dazu, unvorsichtiger zu fahren…

Nach ähnlichem Prinzip verhält es sich auch mit anderen Richtlinien, die bspw. das Zusammenleben ordnen. Unter dem Diktat der Regel, ohne dass ein Bewusstsein vorhanden wäre, warum diese Sinn macht, gibt man die Verantwortung schnell ab, weil man sich ja so verhält, wie es von einem verlangt wird. Passen Regel und Situation allerdings nicht zusammen, wäre es angebracht, in eigener Verantwortung sinnvoll zu handeln. Und in der Schule erlebe ich es eben oft, dass Lehrer mit Schülern vor allen Dingen formale Kämpfe statt inhaltlichen führen, also aus Prinzip auf dem Einhalten von Regeln beharren. Und das wird eben dann problematisch, wenn es nicht möglich ist, bewusst zu machen, warum diese durchzusetzenden Verhaltensregeln sinnvoll sind. Verantwortungsvoll scheint also erst der zu handeln, der sich inhaltlich begründet sinnvoll über Regeln hinwegsetzt:

[…] es muss Normen geben, die zu einer Abweichung von einem Sollen führen können. (wikipedia)

Dies soll nun nicht zu Anarchie und Abschaffung von Regeln aufrufen. Stattdessen sollte sich folgendes Bewusstsein in den Köpfen festsetzen: Regeln sind dazu da, um zu lernen, wann man sie brechen muss. Anarchie führt zur Beliebigkeit und somit zur Bedeutungslosigkeit des eigenen Handelns. Aber Regeln zu brechen, wenn es inhaltlich begründet ist, stärkt die Erziehung zu verantwortlichem Handeln und Denken. Mit diesem Bewusstsein lässt sich so mancher Situation weniger verbissen entgegentreten…