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druckschrift.net Beiträge

Gutemine

Am 1.5. wollte ich einen Text mit dem Titel „Gutemine“ schreiben – der logische Schluss, da ich einen Entwurf mit diesem Titel in der Datenbank sah. Das Problem: Außer dem Titel gibt es nichts. Das eigentliche Problem: Ich erinnere mich an rein gar nichts.
Das Verstummen, ein Vergessen.

PS: Seit ich Whatsapp so gut wie nicht mehr nutze und mich bei Facebook abgemeldet habe, ist das Leben deutlich entspannter. Schuld an meiner vorherigen Anspannung trug jedoch meine mangelnde Kompetenz, mit den Dingern umzugehen – bevor sich hier irgendjemand aufs digitale Füßchen getreten fühlt.

Chronisch national

Wer am Montag die Rede des Außenministers der Türkei in Hamburg verfolgt hat, beispielsweise auf dem Sender ntv, hat feststellen können, wie wichtig es ihm war, die Größe der türkischen Republik hervorzuheben. Er nannte zum Beispiel die geplante dreistöckige Untertunnelung des Bosporus, den geplanten Ausbaus des Flughafens in Istanbul zum größten der Welt und den Bau einer verdammt großen Brücke, ob geplant oder bereits fertiggestellt, weiß ich nicht mehr. Mag auch Übersetzungsschwierigkeiten geschuldet sein. Ich fand diese von Größe durchdrungenen Töne beunruhigender als den oft zitierten Vorwurf, Deutschland verhalte sich systematisch feindselig gegenüber der Türkei.

Vielleicht ist das ja einfach ein anderer Menschenschlag oder dem Wahlkampfgetöse geschuldet. Die globalisierte Welt um mich scheint jedenfalls zusehends zu vergangen geglaubten Nationalismen zurückzukehren

Ich frage mich, warum der Einzelne das mitmacht. Vielleicht ist ihm angesichts der Informationsmenge schlicht das Gefühl für das Ferne abhanden gekommen und damit auch der Spiegel für die eigene gesellschaftliche Identität. Der Rückzug in die national überschaubare Behaglichkeit wäre dann die hilflose Reaktion auf das Nichtverarbeitenkönnen der globalen Berührung. Mauern als Schutz vor mehr Betroffenheit. Die Nation ist es also, auf das die einen wieder hoffen, wenn die anderen abstumpfen.

Je mehr berührt, desto weniger betroffen?

Ich weiß es nicht.

Schlag Mensch!

Wie Diego aufklärt, sei die Gewürzmischung Curry eine westliche Erfindung, wenngleich auch curryähnliche Mischungen lange vor Eintreffen der Europäer in Indien verwendet worden seien. Das deutschsprachige Wiktionary schreibt das hier:

Die in den indischen Sprachen Tamil und Canarese existierenden Wörter kari beziehungsweise karil wurden im 16. Jahrhundert zu carriel, dann im 17. Jahrhundert zu carree und schließlich zu curry → en anglisiert. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist das Wort auch in Deutschland gebräuchlich. Ursprünglich stand es für die Blätter der Karipflanze und eine für Südindien typische Zubereitung von Gemüsegerichten.

Und das hier noch zur räumlichen Klarstellung des Begriffs Orient (oder eben nicht):

[1] nicht eindeutig: ein Gebiet, dass mindestens den Nahen Osten umfasst, aber auch den Mittleren Osten, den Fernen Osten, Nordafrika und Russland umfassen kann

Vermutlich immer noch zu fremd für den deutschen Menschenschlag. Oder nur für Xenophobe. Doch halt – Ausgangspunkt waren ja Orientale, also orientalisch aussehende Menschen. Dabei wollen wir doch alle nur mal wieder Deutsch sein dürfen:

https://www.youtube.com/watch?v=vlpr8GpwjWo

Vielleicht sollte man den Alternativen für Deutschland bei Gelegenheit mal einen Fremdenführer schenken (oder fremden Führer?). Edition Orient: Von Usbekistan bis zur Karibik. (Karibik. Jetzt bin ich total verwirrt.) Oder doch den Xenophes Guide to the Germans. Das ist eine echt schwierige Sache mit der Identität. Und mit der Sprache:

In diesem Sinne: Goo ten are bent allerseits.

Paranoia Orientale

Habe heute zufällig den Film Die Stunde der Populisten gesehen. Darin gab es Äußerungen von AfD-Mitgliedern, die genau das treffen, worüber ich gestern schrieb. Lustig finde ich, dass in dem Film deutlich wird, dass Andreas Wild in Neukölln kandidieren will, aber in Steglitz wohnt. Genau das wird er auch von einer Neuköllner Abgeordneten beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft gefragt. Woher er denn wissen will, was in Neukölln zu tun sei. Die Antwort blieb er zunächst schuldig und gibt sie später mit dieser Aussage (ab Minute ~34):

Currywurstbude und finnische Sauna, das sind so die Bereiche, in denen man relativ wenig Orientalen findet. … Ich fühle mich nicht, als wenn ich in Deutschland wäre. Es sieht so aus wie im Orient – zumindest die Menschen sehen so aus, als ob wir im Orient wären. … Wir müssen schauen, dass wir hier in Neukölln auch wieder deutsche Bevölkerung haben. … Es geht ja praktisch darum, dass die Umvolkung, die stattgefunden hat, wieder in eine andere Richtung zu lenken. … Es geht um Rückveränderung. (Andreas Wild)

Ob ihm schon mal jemand gesagt hat, dass Curry ein orientalisches Gewürz ist?

Später betet er bei einer AfD-Veranstaltung an einer Straßenecke vor laufender Kamera mit einem evangelischen Pfarrer und den dort Anwesenden das Vater Unser.

Ob ihm schon mal jemand gesagt hat, dass dieses Gebet von einem Orientalen ursprünglich formuliert wurde?

Falls nicht, hier Matthäus 6, 5-15:

Wenn ihr betet, macht es nicht wie die Heuchler. Sie stellen sich beim Gebet gern in die Synagogen und an die Straßenecken, damit sie von den Leuten gesehen werden. Amen, das sage ich euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten.
Du aber geh in deine Kammer, wenn du betest, und schließ die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.
Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie; denn euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet.
So sollt ihr beten:
Unser Vater im Himmel, dein Name werde geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf der Erde. Gib uns heute das Brot, das wir brauchen. Und erlass uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern rette uns vor dem Bösen.
Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.

Aufrechte Demokratie

Derzeit höre ich oft das Wort Demokratie. Ursprünglich heißt es soviel wie Herrschaft der Bewohner eines Gebietes. Hört man genauer hin, möchte es je nach Sprecher unterschiedlich verstanden werden. Mal liegt der Schwerpunkt auf den oft damit verbundenen Freiheiten einer modernen Gesellschaft, ein anderes Mal betont man damit einfach nur Mehrheitsverhältnisse.

Letzteres kann aus meiner Sicht nur funktionieren, wenn sich alle Bewohner auf gemeinsame Grundlagen geeinigt haben. Sonst entsteht das Problem, dass eine Mehrheit der Bewohner womöglich über eine oder mehrere kleine Gruppen herrscht, ihnen z.B. das Recht nimmt, zu sprechen und gehört zu werden, also ihren Willen zum Ausdruck zu bringen. Das bedeutet, Demokratie funktioniert nur, wenn alle Bewohner langfristig mitmachen dürfen.

Wenn man derzeit genau hinhört, fällt auf, wie häufig auch demokratiefeindliche Stimmen das Wort Demokratie für ihre Absichten nutzen. Dabei geht es vielen darum, die Regeln für die Bewohner grundlegend zu verändern.

So steht z.B. bald in der Türkei eine Abstimmung über eine Verfassungsänderung an, die mit der Wiedereinführung der Todesstrafe verknüpft ist. Hierbei ist ein Streit zwischen Türkei und Deutschland entbrannt, der auch mit dem Wort Demokratie geführt wird: Türkische Regierungsstellen und Medien werfen Deutschland mangelnde Meinungsfreiheit bzw. Scheinheiligkeit angesichts diverser abgesagten Werbeveranstaltungen für die Verfassungsänderung vor. Deniz Yücel ist übrigens Bewohner beider Gebiete.

Oder geheime Whatsapp-Chats entlarven, was sowieso jeder weiß: Die AfD findet die Demokratie gut, solange sie nützlich ist.

Oder Donald Trump sieht sich (vielleicht wirklich) als derjenige, der die Souveränität den Bewohnern zurückgeben wird:

Formulierungen wie folgende lassen dann aufhorchen, wenn Trump die Wahlergebnisse noch einmal untersuchen lassen möchte mit der Absicht: to strengthen up voting procedures.

Man könnte in weitere Gebiete der Welt schauen und jeweilige Demokratiefeinde feststellen, die vermeintlich beabsichtigen, die Macht den Bewohnern wiedergeben zu müssen. Dabei geht es ihnen eigentlich darum, neu zu bestimmen, wer zu den Bewohnern eines Gebietes zu zählen ist, wer dazu gehört und wer nicht, wem damit die dort geltenden Rechte zustehen und schließlich die Rechte den eigentlichen Bewohnern wieder zurückzugeben und dabei noch zu verändern.

Ich sehe mich dabei übrigens als Bewohner der Erde.

Vermutlich zeigt diese Entwicklung, dass wir satt, gierig und faul sind. Satt von der Demokratie, gierig nach Effizienz und zu faul, sich wirklich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen. Gegen solche Tendenzen sollten sich alle Bewohner unseres Gebietes stellen. Es ist schließlich nicht so, dass Demokratie unumkehrbar wäre.

Nachtrag am 4. März:

Wir werden so lange durchhalten, bis wir in diesem Lande 51 Prozent erreicht haben.
(Björn Höcke am Schluss des Films Die Stunde der Populisten)

Nachtrag am 5. März:

Spiegel-Online hat einen Essay zum Thema veröffentlicht: Niedergang der Demokratie – Warum Populismus nicht die Ursache ist. Darin benutzt Johannes Thumfart schwer oft das Wort Effizienz. Wenn ichs recht verstehe, fordert er zur effizienten Konsensfindung auf, um im Wettbewerb der Gesellschaftssysteme mithalten zu können und eine globale Demokratie-Rezession zu verhindern.
Da denk ich mir: Leute, werdet doch erst mal leidenschaftlich zufrieden.

Die Pflicht zum digitalen Ungehorsam: Wie wir kommunizieren möchten

Vorwort
Ich überlege seit einiger Zeit, SailfishOS dank Community-Port nochmal auf meinem Fairphone zu installieren. Was mich daran hindert, ist die Tatsache, dass Whatsapp dank fehlender Androidunterstützung nicht nutzbar ist, neulich leider offiziell bestätigt. Bin schonmal von Whatsapp gesperrt worden, weil ich Whatsup für SailfishOS genutzt hatte. Das hat Facebook nicht so gefallen, Fremdsoftware für deren Dienst zu benutzen. Etwas beleidigt habe ich mir dann gedacht, ich machs ähnlich wie Diego und boykottiere erstmal Whatsapp. Habe es nicht so lange durchgehalten wie er, wollte wieder mit allen schnell kommunizieren. Daher ist meiner Meinung nach Software wichtiger als Hardware, wenns um Nachhaltigkeit geht. Mal sehen, was ab morgen auf dem Mobile World Congress in Barcelona von Jolla und Fairphone so noch kommt.

Digitale Kommunikation
Verschiedene Gespräche über die Art und Weise, wie wir heute digital kommunizieren, insbesondere im Gegensatz zu der Zeit vor wenigen Jahren, haben mich viele selbstverständliche Kommunikationswege in Frage stellen lassen. Ich wage mal einen spontanen, nicht recherchierten Blick in die vergangenen Jahre:
Vor etwa sechs bis sieben Jahren hat bei mir Whatsapp den Short Message Service als Kurznachrichtendienst weitgehend abgelöst. Der SMS funktioniert als geräte- und anbieterunabhängiger Standard. Die Netzbetreiber bzw. Tarifanbieter haben meiner Meinung nach (zumindest in Deutschland) die Entwicklung verschlafen – womöglich weil man damit eben lange ordentlich Geld verdient hat. Ich war aber irgendwann nicht mehr bereit, pro Nachricht zu bezahlen, wenn es doch deutlich (monetär) günstigere Dienste gibt. Daher bin ich auf den Whatsappzug aufgesprungen.

Jetzt fragte ich mich neulich, warum niemand ein ernsthaftes Interesse daran hat, einen neuen geräte- und anbieterunabhängigen Standard durchzusetzen, der ähnliche Möglichkeiten wie Messenger wie Whatsapp bietet. Und – ZACK – lese ich Folgendes: Googles Android Messages: Angriff gegen WhatsApp und Co. durch die Hintertür RCS. Google, soso. Klingt auch nicht besser, wenn einem beim Thema Kommunikation Postgeheimnis, Briefgeheimnis und Fernmeldegeheimnis wichtig ist. Ob meine Kommunikationswege über Facebook-Server laufen oder Google darauf in irgendeiner Weise Zugriff hat, finde ich ähnlich blöde.

Tolle neue Welt?
Warum hat unsere Gesellschaft eigentlich kein Interesse daran, einen Kommunikationsstandard zu schaffen, der garantiert, dass die digitale Kommunikation ihrer Bürger geschützt ist? Und zwar vor anderen Bürgern, vor Unternehmenvor Robotern – und vor dem Staat selbst.

Meiner Meinung nach ist es grob fahrlässig, dieses Themenfeld denen zu überlassen, die aus Profitabsicht solche Dienste anbieten. Man könnte sich ja mal in die eigenen Angelegenheiten einmischen, sich ein bisschen aktiv gestaltender mit der virtuellen Realität auseinandersetzen.

Natürlich ist es toll, dass Whatsapp verschlüsselt funktioniert. Aber:

Allerdings sind durch die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung natürlich nicht alle potenziellen Probleme aus der Welt geräumt. Der Quellcode von WhatsApp liegt nicht offen, Anwender müssen Facebook also nach wie vor ein gewisses Vertrauen einräumen. Zum Beispiel, dass der Anbieter die geheimen Schlüssel nicht auf einem Seitenkanal von ihrem Smartphone ableitet und so die Nachrichten auf dem Server doch wieder entschlüsseln kann. Auch das Metadaten-Problem bleibt bestehen. Die WhatsApp-Server sehen zwar nicht den Inhalt der Nachrichten, aber sie können nach wie vor beobachten, wer mit wem spricht. Und WhatsApp macht keinen Hehl daraus, dass diese Daten gespeichert werden. Das ist besonders interessant für Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste, die diesen Daten fast so viele Informationen entlocken können wie dem Inhalt der eigentlichen Nachrichten.

Natürlich ist es toll, wenn ich dank des kommenden Netzstandard 5G  und seiner höheren Signalstärke auch im tiefsten Keller guten Empfang haben werde. Aber etwas Kontrolle – oder wenigstens umfassendes Verständnis davon – über die mit dem Internet of things einhergehenden Veränderungen, also das, was wirklich passieren wird, ist nicht das Schlechteste.

Natürlich ist es toll, insgesamt so viel mehr Möglichkeiten zur Kommunikation zu haben. Aber Möglichkeiten sind nicht Freiheit.

Pflicht zum Ungehorsam
Bei alledem sehe ich zwei wesentliche Probleme: Die gesammelten Daten, insbesondere zum Kommunikations- und Konsumverhalten, lassen auch Rückschlüsse auf diejenigen zu, die sich diesen Kommunikationsformen entziehen. Auch wer nicht bei Facebook ist, handelt nach bestimmten Prinzipien, die sich womöglich auch manipulieren lassen. Um ein konkretes Beispiel zu bringen, sorgte nach der US-Präsidentschaftswahl die Firma Cambridge Analytica für Furore, als ihr CEO behauptete, mit Psychogrammen via Facebook Donald Trump zum Wahlsieg verholfen zu haben. Ob das tatsächlich so war oder nur ein Werbecoup für seine Firma, sei hier dahingestellt. Wenn man das nämlich hysterisch zu Ende denkt, können mittels Psychogrammen von Facebooknutzern auch Rückschlüsse auf das Verhalten von Nicht-Facebooknutzern gezogen werden – und so ganze Gesellschaften zielgerichteter beeinflusst werden.

Das zweite Problem: Diejenigen, die sich der digitalen Kommunikation aus einer grundsätzlichen Kritik heraus entziehen (zu Recht oder nicht spielt keine Rolle), nehmen an dieser gesellschaftlichen Entwicklung nicht direkt Teil. Kritik von Innen ist aber dringend nötig, um das Bestehende zu hinterfragen und darauf hinzuwirken, es zum Besseren zu verändern. Wir haben die Pflicht zum Ungehorsam – heute nicht nur gegenüber dem Staat, sondern vielmehr unserem gewohnten Verhalten gegenüber.

Nachwort
Ich habe nichts zu verbergen“ ist zwar eine Einstellung, die auf ein gesundes Selbstbewusstsein schließen lässt. Allerdings bezieht der Gedanke nicht den Faktor Zeit mit ein. Wer weiß, ob ich in 20 Jahren nicht doch lieber verborgen hätte, was mir heute gleich ist? Habe neulich eine Nachricht gelesen (finde sie leider gerade nicht wieder), laut der in Russland eine Bürgerin kürzlich wegen Spionage zu einer Haftstrafe verurteilt worden sei, weil sie vor einigen Jahren eine SMS geschrieben habe, in der sie von russischen Panzern auf dem Weg nach Georgien schrieb.

Man muss ja nicht jeden Kommunikationsscheiß mitmachen, aber einzelner Boykott bewegt wenig. Tox ist beispielsweise eine Alternative, gibts auch für SailfishOS als native App.

Und: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wurde 2011 zur Regulierung im Internet interviewt.

Welt aus den Fugen?

Vergangenen Sonntag war ich mit Andreas in Frankfurt zur Veranstaltung Welt aus den Fugen. Navid Kermani hat mit Axel Honneth ein Gespräch geführt. Es ging um eine Momentaufnahme unserer (Welt-) Gesellschaft und einen Ausblick in die zukünftige Entwicklung.

Honneth und einige Zuschauer offenbarten im anschließenden Frageteil eine ganz schön negative Weltsicht. Der Sozialforscher sprach sich polemisch für eine Einschränkung privater Kommunikationskanäle und eine Stärkung der öffentlich anerkannten wie Zeitungen aus. Mir gefiel Kermanis überlegter pragmatischer Optimismus. Er vermittelte mir das Gefühl, dass er zuhört, während er redet.

Honneths Formulierung, als er in einem Satz von uns Intellektuellen sprach, entlarvte die Veranstaltung – wobei ich mich gefragt habe, ob der mich damit wohl auch gemeint hat. Mir hats trotzdem gefallen. Interessanter hätte ich es allerdings gefunden, Kermani beim Besuch der Schulen zu begleiten.

Liebesfilm im Zeitalter der Reflexion

Vergangenen Montag habe ich mir Her angesehen, im Kinocenter mit anschließender Diskussion. Der Film spielt in einer nicht sehr fernen Zukunft. Der Protagonist und ein Operating System verlieben sich unbeabsichtigt ineinander. Im Gegensatz zur Moderatorin am Montag erzähle ich hier nicht die komplette Handlung vor dem Film.

Die Diskussion im Anschluss drehte sich vor allem um Liebe im Zeitalter virtueller Realität, Facebook und Whatsapp wurden als prominente Vertreter genannt. Dabei ging es in meinen Augen mehr um die Sicht der älteren Generation auf die Jüngeren. Dabei macht man vielleicht auch gerne den Denkfehler, einen Gegensatz zwischen virtuell und real sehen. Es hilft meiner Meinung nach mehr, von unterschiedlichen Räumen zu sprechen, in denen man kommuniziert, sich von anderen abgrenzt, sich im anderen findet. Oder wer weiß was macht. (Toll fand ich, dass mich ein älterer Herr anschließend noch einmal persönlich auf das Thema ansprach, weil er in mir einen Vertreter der jüngeren Generation sah. Ich musste ihm dann gestehen, dass ich 36 bin.)

Einige legten auch ausgiebig Wert auf die Beziehung zwischen Protagonist und seiner Mutter. Die Mutter kommt im Film nicht vor, wird aber in einem Halbsatz erwähnt, als das Betriebssystem seinen neuen Nutzer als Konfigurationsfrage nach dem Verhältnis zu seiner Mutter fragt, ihn aber schnell unterbricht, als er zu ausführlich werden möchte. Das kann man als Kritik an einer allzu psychologisierenden Perspektive verstehen. (Wobei das auch überinterpretiert sein mag und mehr über mich und mein Verhältnis zur Psychologie aussagt. Oder anders gesagt: Wayne?) In der Diskussion gings dann auch um die Geburt an sich als traumatisches Erlebnis. Daran hatte ich beim Film ankucken noch gar nicht gedacht.

Meiner Meinung nach ist das Thema des Films die Frage, wie man sich selbst findet. Und er liefert eine mögliche Antwort: in der Auseinandersetzung mit dem Gegenüber. Mir hat er gefallen.

Réne Marigtte’s Surraelsitische Rveoltuion

René Magritte hinterfragt mit seinen Bildern unsere Wahrnehmungs- und Abbildungsfähigkeit der Wirklichkeit. Die Ausstellung in der Schirn gibt einen recht guten Überblick über seine Werke, mit denen er wohl eine surrealistische Revolution bewirken wollte. Ihm war es laut Ausstellungstext wichtig, mit der – gerade unter Philosophen – dem Wort untergeordneten Stellung des Bildes zu brechen. Berühmt ist sein Der Verrat der Bilder von 1929, welches bspw. von Michel Foucault 1973 interpretiert wurde, wie ich las. Gefallen hat mir das Bild, welches aus einer mit Lagerfeuer beleuchteten Höhle auf eine Staffelei herausblickt, die eine Burg am felsigen Horizont einrahmt. Er spielt damit wohl auf Platons (oder Sokrates‘) Höhlengleichnis an, mit welchem die für den Menschen unüberbrückbare Kluft zwischen Wirklichkeit einerseits und ihrer Darstellung und Wahrnehmung andererseits verdeutlicht werden soll.

Interessant an alledem finde ich, dass Bilder, die ihrem Wesen nach konkrete Gegenstände abbilden (sollten), mit meiner Wahrnehmung derart spielen, dass sie – wenn man sich denn auf die Auseinandersetzung einlässt – Fragen erzeugen anstatt Antworten zu geben. Das ist das Wesen von Philosophie, laut Alexander.

Ich habe mich zum Beispiel gefragt, wieso der Gedanke einer linearen Existenz so allgegenwärtig ist. (Dieser selbstverständlichen Allgegenwärtigkeit hat Anne übrigens widersprochen.) Anlass dazu war ein Erklärtext in schick geformten Buchstaben an einer Wand in der Ausstellung, in der die kunsthistorische Perspektive einer irgendwie aufeinander aufbauenden Entwicklung der Malerei kurz eine Rolle spielte. Ist es nicht eher so, dass alles mit sich spielt, sich selbst wiederholt? Gleichsam dem Wellengang eines Ozeans ist diese oder jene Idee stärker da, obschon alles bereits vorhanden ist. Ohne allzu wehmütig zu klingen verweise ich wie schon 2009 in meinen ersten Blogbuchstaben auf den Prediger (1,9): Es gibt nichts Neues unter der Sonne.

Vielleicht ist das auch eine Dialektik der Aufklärung, die Folge einer Vorstellung von der Einzigartigkeit eines Menschen: Solange ich mich als von der Existenz des anderen losgelöstes, eigenständig existierendes Individuum begreife, dessen Bestehen einen Anfang und ein Ende hat, muss ich linear denken. Oder anders gesagt: Wenn man nur nah genug ranzoomt, mag ein Kreis wie eine Linie wirken.

Ausgangspunkt meiner Wörter waren ja die Bilder von Magritte. Bei Le Viol musste ich an die Marsianer in der Sesamstraße denken. Am besten gefiel mir Gesang des Gewitters, welches im Internet auf die Schnelle nicht zu finden ist. Was auch mal ganz gut tut.

 

Jahresrückblick 2017: In welcher Geschwindigkeit will ich leben?

In diesem Jahr ging es ganz schön drunter und drüber. Ich erinnere da nur an Dienstag, den 17.1.:

Kein Wunder, dass Diego an diesem Tag nichts geschrieben hat.

Ich komme langsam auch nicht mehr hinterher:
Gestern wurde der neue US-amerikanische Präsident vereidigt (keine Namen, man darf Populisten keine unnötige Aufmerksamkeit schenken). Er soll in seiner Antrittsrede die USA sinngemäß als ein massakriertes, am Boden liegendes Land bezeichnet und anschließend zu Frank Sinatras Auferstanden aus Ruinen und Vorwärts ist keine Richtung getanzt haben.

Wie konnte es in diesem Jahr nur so schnell so weit kommen?

Ich vermute, meine Umgebungsgeschwindigkeit beschleunigt sich zu stark. Oder anders ausgedrückt: Ich bin langsam. Jedenfalls habe ich beschlossen, mich dem Tempo meiner Umgebung nicht anzupassen. Den Gedanken habe ich von John Franklin. Spaceman Spiff hat mich mit seinem Lied Nichtgeschwindigkeit dazu ermuntert:

 

Schweigen ist Zuhören,
Öffnen wird Wachsen,

Verstummen bleibt Bewahren.

Ecce! Lo And Behold!

Der Film Lo And Behold – Reveries Of The Connected World vom August vergangenen Jahres beschäftigt sich mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Internets und dessen Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen. Er ist von Werner Herzog:

Ich habe mich während des Films an verschiedene Dinge erinnert. So taucht zu Beginn kurz Ted Nelson auf, der als tragische Figur seine Vorstellung davon zeigt, wie das Internet hätte eigentlich werden sollen, kurz: seine Vision von Hypertext. Das wird gut visualisiert beim Blick über seine Schulter auf seinen WindowsXP-Rechner.

Später im Film wird gesagt, dass es in Zukunft oder auch bereits jetzt egal ist, wer einen Text verfasst – sei es ein Mensch, ein Roboter oder ein Hund:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/en/f/f8/Internet_dog.jpg

Das würde Roland Barthes Vorstellung von der Abwesenheit des Autors wahrscheinlich ziemlich gut gefallen. Ich zitiere mich hierzu mal selbst (Waaaaaahh, ein Barthes’sches Paradoxon??):

Der Text als Netzwerk, dem Sinnstiftung allein durch die Verknüpfungsleistung des Lesers widerfährt, scheint sich als Inbegriff eines poststrukturalistischen Verständnisses á la BARTHES im Hypertext zu offenbaren. Aber sind wir bereit, diesem Verständnis zu folgen? Schließlich tötet er nicht nur den Autor, er löst auch die Identität des Subjekts auf, indem er die »Einheit des Textes« nicht im Ursprung sondern im Zielpunkt verortet, »wobei dieser Zielpunkt nicht mehr länger als eine Person verstanden werden kann«. Mehr noch, »der Leser ist ein Mensch ohne Geschichte, ohne Biografie, ohne Psychologie« (BARTHES 2000, S. 192). BARTHES’ ›Leser‹ gleicht so gesehen viel eher Xanadu, NELSONs ›Maschine‹, die als Unified Tissue of Storage, als Gewebe von Speicher Knotenpunkte zentral im Netzwerk verortet, verknüpft und verfügbar macht.

Die Identität des Subjekts im Internet löst sich demnach auf, spielt zumindest keine Rolle mehr, im Gegensatz zum Fremdbildnis, meiner Ansicht nach.

Oscar Wilde versteht übrigens Kritik als höchste Form der Subjektivität. Hierzu fällt mir noch eine Aussage aus Werner Herzogs Film ein. Ein Interviewpartner sieht ein großes Problem in der Unfähigkeit der mit dem Internet heranwachsenden Menschen, kritisch zu denken, da Inhalte so umfassend verfügbar sind und junge Menschen sich verstärkt einseitig informieren. Er kommt dabei übrigens ohne das alte Wort postfaktisch aus. Ich teile die Befürchtungen immer dann, wenn ich Schüler nach der Quelle Frage und die Antwort Internet bekomme, sie aber eigentlich Google meinen und dann nicht verstehen, dass eine Suchmaschine keine Quelle ist. Allerdings würden sie der Unterstellung sicher heftig widersprechen – was mich irgendwie wieder zuversichtlich stimmt.

Im letzten Abschnitt des Films tauchen zwei Gehirnforscher auf, die von einer Art universellen „Sprache“ des Gehirns sprechen. Als Beispiel für diese universelle Gedankensprache dienen Beobachtungen durch eine MRT, während Menschen entweder ein Video von zwei in der Savanne wandernden Elefanten sahen oder einen Satz entsprechender Semantik lasen. In beiden Situationen wurden übereinstimmende Hirnaktivitäten festgestellt. Die Hirnforscher schlussfolgerten, dass es nur eine Frage der Zeit bzw. der technologischen Entwicklung sei, bis wir uns mittels Mini-MRTs quasitelepathisch austauschen könnten. Erinnert stark an Shitter:


Die Vorstellung einer Art universellen Gehirnsprache widerspricht der Idee, dass unser Weltbild, unser Vorstellungsvermögen, unsere Art zu denken von der Grammatik unserer Sprache bestimmt wird. Auf die Theorie bin ich durch den Film Arrival aufmerksam geworden, welchen ich gut fand, vor allem wegen dieser Idee und in diesem Zusammenhang der Art, wie die Geschichte erzählt wird. Alexander wusste natürlich nach dem Film gleich eine Erzählung zu nennen, in der das schon zuvor thematisiert wurde, hab ich aber wieder vergessen. Jedenfalls befürchte ich, dass Arrival zu den Filmen gehört, die man nur einmal sehen sollte, damit man sie in guter Erinnerung behält. Ich fand ihn offensichtlich so gut, dass sich mein Kopf bei Lo And Behold – Reveries Of The Connected World sofort eine Verknüpfung herstellte.

Was noch zu sagen bleibt nach dem Film: Wahrscheinlich werde ich die Wette mit Andreas verlieren, der behauptet, am 1. April 2025 mich mit nem autonom fahrenden Fahrzeug legal abzuholen und wir beide unterwegs Tee trinken können. Meine Skepsis bezieht sich zwar mehr auf die träge Gesetzesentwicklung in Deutschland als auf die technologische Entwicklung – im Film geht es auch um die Tatsache, dass die Software autonomer Autos (Vorsicht, Neologismus: Autoauto) eine menschliche Ethik entwickelt. So, wie man mit dem Thema in der letzten Zeit zugemüllt wird, sehe ich aber doch schwarz, die Wette zu gewinnen. Echte autonome Autos werden wohl noch vor der CSU-Maut gesetzlich implementiert werden. Es sei denn, Deutschland tritt 2018 aus der EU aus.

Naja, mal sehen. In diesem Sinne: Frohes neues Jahr.

Ps: Ich finde Werner-Herzog-Filme ohne Klaus Kinski interessant und sehenswert, aber nur halb so unterhaltsam.

Meermenschen, Leviathan, PEGIDA und der Teich

Ich kann nun endlich in das neue Moop Mama-Album reinhören:

Das Lied Meermenschen (Thema Gesellschaft und Flüchtlinge) erinnert mich an die Filmmusik von Leviathan. Insbesondere die fließende Rhythmusänderung lässt Wellengang nachfühlen. Die Musik ist ursprünglich in der Oper Akhnaten von Philip Glass zu hören gewesen, welche, soweit ich weiß, keinen Bezug zu Meer oder Wasser im Allgemeinen hat:

Die Oper erzählt laut Wikipedia keine zusammenhängende Geschichte sondern portraitiert Echnathon und beschäftigt sich mit seinem Scheitern. Im Film Leviathan geht es um das klassische Hiobsthema.

Siehe, tötet er mich, ich werde auf ihn warten, nur will ich meine Wege ihm ins Angesicht rechtfertigen.

Nikolai wird von Staat und Kirche bedrängt, sein an der Barentssee gelegenes Haus zu verkaufen. Er weigert sich und ihm widerfährt viel Unheil, schließlich wird er für den Mord an seiner Frau für schuldig befunden. Der Film endet mit dem Blick auf eine neu gebaute Kirche, die an der Stelle steht, an der Nikolais Haus stand. Anders als das Original der Bibel also etwas glaubwürdiger: kein Happy End.

Ein würdiges Ende fand auch Lars Ruppel eben im Poetry Slam im Jokus bei seinem Auftritt mit einem neuen Text, der wohl noch nicht veröffentlicht ist: Brat mir einer n Storch. Er erzählt darin von einem Teich und dessen Bewohnern, die nach und nach alle auf den Storch hören, der den Teich wieder so haben will wie früher. Als erstes müssen die Frösche dran glauben, für die folgende Mückenplage müssen andere Tiere Mückenjagen lernen.  Schlussendlich wird der Teich eingezäunt, damit nicht jeder an den Teich gelangt, aber dadurch verdreckt er immer mehr. Diese gesellschaftskritische Fabel ließ mich an „Meermenschen“ denken, damit schließt sich der Kreis zu Moop Mama:

PS: Alle Kinder mögen alle Kinder. Nur nicht Lisa. Die mag Pegida.

Unter der Konsole

Mit Bier geht alles, sogar Kultur, dachte ich mir. Also war ich vergangenen Sonntag im Städel. Einige der Bilder dort – vor allem in der Moderne – haben mich beeindruckt. Besonders Edgar Endes Unter der Konsole. Im Städelblog liest sich zu dem Bild Interessantes:

Wenn er nach der Bedeutung seiner Bilder gefragt wurde, antwortete er: „Ich habe mir gar nichts dabei gedacht. Sie sollen sich etwas dabei denken.“

Eine weitere Passage erinnerte mich stark an Robert Gwisdeks Der unsichtbare Apfel, welches ich neulich schon mal erwähnt habe:

Dank seines Sohnes Michael ist überliefert, wie Edgar Ende bei seiner Motivsuche vorging: Er verriegelte sein Atelier, verdunkelte die Fenster, legte sich mit geschlossenen Augen auf ein Sofa und konzentrierte sich auf – nichts.

In dem Roman schließt sich Igor für ein Experiment 100 Tage in einen komplett abgedunkelten Raum. Das ist der Beginn einer abgefahrenen Reise ins Innere der Trauer. Ob man dabei wohl das fühlt, was diese Gesichter fühlen?

Diese beiden Bilder habe ich mir auch gemerkt:

Gefährlicher Wunsch von Richard Oelze und Oberon von Georg Baselitz. (Bekomme gerade Lust, Ouroborous von der Bedlam in Goliath zu hören, obwohl das Bild Oberon mit der Musik wohl außer der – grobschlächtig betrachtet – phonetischen Ähnlichkeit nichts zu tun hat.)

Fußballfreunde

Es gibt ja Leute, die mit der EM gerade nicht viel anfangen können – oder vielmehr einen Hass darauf entwickeln, dass man um Fußball nicht herumkommt. Mein Tipp: Malt euch die holländische Flagge ins Gesicht. Für alle Fußballliebhaber aber EM-Genervte empfehle ich den 11 Freunde Liveticker. Der ist unterhaltsam – wenn man sich für richtigen Fußball interessiert.

Wer ist eigentlich cooler: Slatan Ibrahimovic oder Tim Wiese? Ist die alte Torwast- oder Stürmer-Frage. Hinweis: Slatan hat mehr für das französische Volk getan als Francois Hollande.

Ich vermiese an dieser Stelle ja nur ungern die fanatische Stimmung, aber der Film Dirty Games ist sicher was für jeden, egal ob sportbegeistert oder nicht. Ich will ihn mir jedenfalls ansehen:

Gegenwartskunst

Von Kunst hab ich ja keine Ahnung. Den Kommentar von Georg Diez hab ich mir trotzdem durchgelesen:

Kunst in der Krise: Das Ende der Gegenwart ist nah.

Danach hab ich mich gefragt, was a) Gegenwart ist und 1. Kunst. Ergebnis: Ich hab keine Ahnung.

Nach all den Gedanken ist dieses Video irgendwie passend:

Zu a)
Gegenwart ist die Auseinandersetzung mit dem, was war und dem, was kommt. Formen der Auseinandersetzung sind Angst und Trauma sowie Hoffnung und Nostalgie.
(Jetzt wollte ich erst sowas schreiben wie:
Angst und Trauma, genauso wie Nostalgie und Hoffnung sind jeweils die gleichen Bewegungen, nur in unterschiedliche Richtungen. Aber da bin ich mir nicht sicher, ob das mit der Richtung und der Bewegung Sinn macht. Klingt so linear. Vielleicht ist alles nur ein Kreis, wer weiß. Oder vielmehr eine Spirale, wovon Robert Gwisdek in Der unsichtbare Apfel schreibt. Denn was ist schon Fortschritt?
Und noch was: Im Flow vergisst der Mensch diese bewusste Auseinandersetzung. Aber ohne Erinnerung daran oder Sehnsucht danach hat auch das Flow-Erleben keinen Bestand. Ich sah nicht die Weisheit der Gegenwart, Zerstreuung, Ruhe ist unauslöschlich.)

Zu 1.
Kunst ist die Auseinandersetzung mit dem Menschen in der Auseinandersetzung. Sie gelingt, wenn sie das bewusstmacht.

Nachtrag: Das Tocotronic-Lied im Video heißt Hi Freaks. Danke Patrick.

Bikes vs Cars

Am Dienstag Abend habe ich dank nicht gekündigtem Netflix-Probemonat angefangen, den Film Bikes vs Cars zu schauen:

Nach den ersten 5 Minuten, in denen man eine Radfahrerin in Sao Paulo begleitet, beendete ich den Film und wechselte den Schlauch meines Vorderrades. (Das Vorderrad hatte ich am Samstag nach einer ausgiebigen Cyclocrosstour in den Wäldern heimatlicher Gefilde am Haus meiner Eltern wieder angekommen am Bordstein platt gefahren.) Ich war hoch motiviert, am nächsten Morgen statt mit dem Auto mit dem Rad zur Arbeit zu fahren, das erste Mal seit längerer Zeit. Schwierig wurde, dass ich Mittwoch eine Stunde früher aufstehen musste als gewöhnlich. Donnerstag fuhr ich auch wieder mit dem Fahrrad, wenn ich da auch schon recht spät dran war. Heute habe ich dann, damit ich etwas länger im Bett liegen konnte, wieder das Auto genommen. Auf dem Rückweg stand ich dann auch prompt im Stau. Da musste ich dann Fatoni in Dauerschleife hören, um nicht auch noch an mein gescheitertes 2°-Ziel erinnert zu werden:

https://www.youtube.com/watch?v=eepgaapRebY

Den Film habe ich mittlerweile komplett gesehen. Interessant, dass der Fokus nicht einfach auf den Fortbewegungsmitteln selbst lag sondern vielmehr auf unterschiedlich umgesetzte Stadtentwicklungsplanungen. Los Angeles habe sich zum Beispiel in den 1930er Jahren ganz bewusst entschieden, voll auf Autos und Busse zu setzen, der Einfluss der Automobilindustrie sei da nicht unerheblich, erzählt der Film. Am Ende zeigte der Film Bilder von Jakarta. Darüber unterhielt ich mich vorhin mit einem Kollegen, der dort schon einmal war und mir das aus eigener Erfahrung bestätigte.

In einer Stelle spricht ein Bürgermeister in Los Angeles vom „war on cars“ und meinte damit die Radfahrer, die ein „pain in the ass“ der Autofahrer seien. Solche Aussagen findet man in Deutschland sicherlich auch so ähnlich, zumindest bemerke ich häufig aggressive Fahrweisen von Autofahrern, die zum Beispiel nicht ertragen können, dass man als Radfahrer bis zur Ampel vorne zur entsprechenden Markierung vorfährt und dann vergessen, dass ein Unfall mit einem Radfahrer dem Autofahrer so gut wie nichts ausmacht.

Gut gefallen hat mir die globale Perspektive des Films, die mir deutlich gemacht hat, dass sich so fast jedes Land als Autonation sieht, wenn es denn nur will. Das ist wahrscheinlich so ähnlich wie der Mythos, dass die Atomkraftwerke im eigenen Land die sichersten seien.

Ich will mal sehen, wie oft ich demnächst noch Fatoni hören muss. Vielleicht ja aber auch Benjamin Button.

Konzertkonzeptionen und Anarchie

Ich war in den letzten beiden Wochen auf unterschiedlichsten Konzerten. In Frankfurt (Nachtleben) hatte Fatoni seinen Tourauftakt und Moop Mama in Marburg (KFZ) eben einen solchen. Das gute an Tourauftakten: Man ist der erste. Nachteil: Die Künstler müssen sich erst mal auf der Bühne finden.

Mit Fatoni habe ich so richtig mein erstes Rap-Konzert besucht. Also abgesehen von einigen Stylefiasko-Sachen in Siegen&Co. Etwas enttäuscht habe ich dann festgestellt, dass da tendenziell eher gebildete Hipster-HipHopper zu Besuch sind. In der Cypher stand ich dann auch ganz vorne, nur um festzustellen, dass Fatoni nicht mit JuseJu freestyled. Schade. Keno hat beim Moop Mama-Konzert auch nicht gefreestyled. Auch schade.

Irgendwie hatte ich erwartet, dass ich mal neue Konzertablaufkonzepte präsentiert bekomme. Also mehr Improvisation und so; nicht immer 10-15 Lieder, dann Zugaberufe, dann noch 3 Lieder, dann mit Rausschmeißmusik rausgeschmissen werden. Alles muss schön seine Ordnung  haben, dachte ich bei beiden Konzerten. Die Musik war trotzdem ganz gut.

Besser haben mir die kleineren Sachen im Cafe Amelie in Gießen gefallen: She Owl und Anoraque. Beide Konzerte wurden mit Hutgeld bezahlt. Erinnerte etwas an Konzepte aus dem Anarchiefilm, den ich zuvor im Kinocenter sah. Trotzdem liefen die Konzerte ordentlich ab.

Meine Gedanken zu dem Film Projekt A: Im Film sieht man, wie in einem Athener Stadtteil ein Mann ein brennendes Auto mit Wasser löscht, angezündet wohl mit einem Molotow-Cocktail. Als die Feuerwehr vor Ort ist, ist das Feuer schon gelöscht. Die Feuerwehrmänner sprühen dennoch Löschschaum in den Mercedes. Währenddessen schwenkt die Kamera auf den mittlerweile brennenden Einsatzwagen und man sieht einen Menschen einen weiteren Molotow-Cocktail in den Feuerwehrwagen werfen. Das Publikum im Saal hat großteils gelacht, ich nicht.

1. Anarchie ist keine, wenn sie Unterhaltung wird.
2. Wer denkt mehr an „das System“ – der Molotow-Cocktails gegen staatliche Institutionen werfende Mensch oder der Feuerwehrmann, der Menschen hilft, wenn es brennt?

Interessant war, wie vielseitig anarchische Bewegungen in Europa funktionieren. Das, was man über Katalonien erfuhr, fand ich besonders interessant.

Richtig anarchisch wäre es vielleicht mal, mit althergebrachten Konzertkonzeptionen zu brechen. Vielleicht höre ich aber auch nur die falsche Musik oder haben einen zu hohen Anspruch. Oder halt doch die Musik selbst machen – und dann einfach mal nicht aufnehmen, nicht bei Whatsapp teilen, nicht bei Youtube hochladen. Nur so unter sich.

Faul

Die neue ARTIC ist draußen, Stichwort: faul. Um den Titel zu unterstreichen hat die Produktion des Heftes diesmal 4 Jahre gedauert. Ich konnte gestern während eines Geburtstagsbrunch einen Blick ins Heft werfen. Einen Text habe ich dann etwas näher geleesen, also nur überflogen. Ging um die Vertreibung aus dem Paradies, Sisyphos und Prometheus. (Frage mich gerade, ob es nicht doch ein Geier war, der sanft Prometheus Leber pickte.)  Ich fand den Text zunächst etwas wirr, merkte aber auch, dass ich gerade nicht die Muse zum Lesen hatte und wollte dem Text gegenüber nicht unfair daherreden, insbesondere während zwei Redaktionsmitglieder des Magazins am Tisch saßen. War ganz gut, weil ich nämlich später bemerkte, dass der eine selbst Verfasser eben dieses Textes war.

Ein weiterer Text stammt von Malewitsch, der in der ARTIC wohl zum ersten Mal in gedruckter Form erscheint: Die Faulheit als tatsächliche Wahrheit der Menschheit. Habe ihn gerade angefangen zu lesen, war aber etwas faul und hau deswegen meine Hauptkritik sofort raus: Wovon Malevich oftmals redet, wenn er Faulheit sagt, ist meiner Meinung nach Zufriedenheit, Ruhe oder Pause. Also glückselige Momente, nachdem man gearbeitet hat. („Andererseits ist die Faulheit der Garant und Motor der Arbeit, schließlich kann man Faulheit nur durch bzw. über die Arbeit erreichen.“) Ich finde aber, dass zu echter Faulheit gehört, beim Sichaufraffen zu scheitern:

Ganz gut gefällt mir, dass er der Aussage widerspricht, Faulheit sei die Mutter aller Laster. Dem widersprach auch Kierkegaard schon, der den bekannten Satz in „Langeweile ist aller Laster Anfang“ umbedeutet haben wollte (wenn ich mich gerade richtig erinnere). Also, ungefähr so: Wenn einer nichts macht, heißt das nicht, dass nichts passiert. Momente der Ruhe / Pause / Entspannung ermöglichen oftmals erst kreative Prozesse. Nur wenn wir uns mit uns selbst langweilen suchen wir nach Ablenkung=Laster. So hab ich Kierkegaard damals verstanden und in eine ähnliche Richtung schreibt Malewitsch stellenweise – vermute ich. Habs ja nicht richtig gelesen.

Der Einband der ARTIC ist mit Jeansstoff aus alten Hosen beklebt. Das war und wird wohl ganz schön viel Arbeit. Erinnert mich ein bisschen ans Flyerfalten zu AKBp-Zeiten. Was Diego gefallen wird: In zehn der tausend Ausgaben des Magazins befindet sich ein echtes Faultierhaar. (Das Gesicht vom Zoodirektor hätte ich gerne gesehen, als er den Brief zur Anfrage las.)

So, ganz schön viel Text, dafür dass ich eben zu faul war, Malevich Text zu lesen. Nennt man wohl Prokrastination.  Diego meint übrigens, dass die Kunst darin besteht, die eigentliche Arbeit mit anderer sinnvoller Arbeit aufzuschieben. Ziemlich k l u k.

Read Kant, cunt!

Kennt ihr sicher schon:

Erinnert mich ein bisschen an Kraftstolz.

Ps: Edgar Wasser machte das vor einigen Jahren ähnlich, nur irgendwie negativer als „gescheiterter Zyniker„:

Advantageous: Ist einträglicher Nutzen dienlich?

Ich mag Science-Fiction(-Filme). Gerade habe ich einen solchen Film gesehen: Advantageous. (Irgendwie gefiel er mir noch besser als Under The Skin.)
Die Handlung: Eine allein erziehende Mutter beschließt, ihre Identität zu Werbezwecken in einen jüngeren Körper verpflanzen zu lassen.

Ich wurde beim Sehen im Wesentlichen an zwei der folgenden drei Dinge erinnert:
1. Möglichkeiten haben nichts mit Freiheit zu tun
2. Wer bist ich?
3. Schönheit liegt im Auge des Betrachters

Wie gute Science-Fiction spiegelt der Film die Gegenwart. Hier meiner Meinung nach insbesondere das Streben nach gesellschaftlich anerkannter Anerkennung ( meist „das Nützliche“ genannt).

Apropos Kritik der Gegenwart, in der Kierkegaard zu Beginn dem modernen Selbstmörder das Selbstmördersein abspricht, da er nicht aus sondern durch Überlegung Selbstmord begehe: Die Tochter der Hauptfigur(en) fragt wiederholt verzweifelt ihre Mu(e)tter, welchen Sinn es überhaupt habe, dass sie selbst lebe. Die Mutter wiederum opfert sich dafür, dass ihre Tochter ein möglichst gutes Leben hat. Den Sinn im Leben projiziert die Mutter also in ihren Nachwuchs, der ihn selbst sucht. Irgendwie auch eine Flucht vor der eigenen Betroffenheit.

Meine Antwort auf den in dem Film angeprangerten Nützlichkeitswahn ohne Sinn mit Verstand: Pure Vernunft darf niemals siegen.
Das meinte auch ein Freund gestern, weshalb wir uns entschlossen, noch Nachos mit Käse zu bestellen.

Berlin

Am Wochenende war ich im Kino. Rock The Kasbah mit Bill Murray – die Betonung liegt auf ‚ray‘ – war nicht gut, wie die Kritiker schreiben. Ich musste ziemlich häufig lachen. Später hab ich dann nicht zugehoert, als meine Mitkinogaenger vorlasen, woher der Titel des Films kommt. Blöd. Hatte irgendwas mit Iran zu tun.

Im Vorspann lief Werbung fuer die BVG:

https://www.youtube.com/watch?v=xvcpy4WjZMs

Ich stell mir das ja ziemlich anstrengend vor, das Gesicht dauernd so zu verziehen. Wie Lasse Matthiessen. Da kiekste Keule, wa?

In The Dead Of The Night

Habe ich eigentlich schon mal diese Musik hier verlinkt?

Lasse Matthiessen verzieht sein Gesicht so schön, damit er noch besser singen kann.
Von TV Noir gibt es natürlich so einiges an hörenswerter Musik, ich überlasse aber die Suche jedem selbst.

Ps: Jan Boehmermann und Olli Schulz sagen, dass ein eigenes Blog zu den fünf Nogos des Internets gehört. Find ich blöd, dass die erst jetzt damit rausrücken.

Freestyle

Heute in der Kabine im Polheimer Schwimmbad diesem Freestyle gelauscht:

„alle meine entschen kommen auf dem see. und stärben auf dem see“
„du stirbst“
„du bist schon gestorbn, du huanson

Ich wollte den Jungen schon wie die Dame ab 1:43:15 fragen: „Wie machst du das?“

The Yes Men, Hateful Eight und Hail, Caesar!

In den vergangenen Wochen habe ich drei Filme gesehen:

  1. Die Yes Men im Jokus
  2. The Hateful 8 im Kinopolis
  3. Hail, Caesar im Kinocenter

The Yes Men mit deutschen Untertiteln wurde im Rahmen der Globale aufgeführt und hat mir gefallen. Ziemlich beeindruckend, was man mit gesellschaftskritischem Unfug alles anstellen kann. Insbesondere die Tanzeinlage zu indianischen Gesängen mit Vertretern nordamerikanischer Energiekonzerne war erstaunlich. Kommunikationsguerilla nennt man das ganze.
Das anschließende Gespräch mit Jörg Bergstedt (aus dem Kreis des Infoladen) hat mich an frühere StuPa-Sitzungen erinnert, in denen er gelegentlich als linke Opposition zur Demokratischen Linken (die Liste  mit der Sau), Brennpunkt Uni (das waren noch Zeiten, Alter), UniGrün und JuSos aufgetreten ist.

Hateful Eight (in der deutschen Version) fand ich ziemlich enttäuschend, da verstehe ich die IMDB-Wertung 8,0 nicht. Die Anfangsszene war grandios, gerade auch wegen der Musik. Der Rest ein typischer Tarrentino – das ist hier durchaus als banausenhafte Umschreibung von übertriebener filmischer Gewaltdarstellung gemeint. Und weil die Erzählweise mir doch arg bekannt vorkam. Ich glaube, Leute, die sich für Filme interessieren und sich mehr mit ihrer Darstellungsform beschäftigen als mit der Darstellung einer Geschichte, finden Gefallen an dem Film. Westernfans kann ich ihn weniger empfehlen. Ach ja, und ein kräftiges Buuuuhhh! für die Location. Kinopolis mag ich so gar nicht. Fast so unpersönlich abfertigend wie die angegliederte Restaurantkette  Bolero.

Hail, Caesar! im englischen Original hat mir besser gefallen, wenngleich der Film sich thematisch mit dem Hollywood der 1950er beschäftigt und die Geschichte selbst irgendwie nicht wirklich greifbar wird. Der Plot wird gut erzählt und mir haben vor allem die mühevollen Darstellungen der Sets der verschiedenen Filmdrehs gefallen. Mein Sitznachbar meinte am Ende des Films: „Der Film könnte jetzt noch ’ne Weile weitergehen!“ Das traf es auf den Punkt, da die Handlung selbst nicht unbedingt fertig war und ich Spaß an der ausschnitthaften Darstellung der präzisen Persiflage  verschiedener Filme der Zeit hatte. Die Stepptanzeinlage rund um Channing Tatum als (schwuler) Matrose ist gelungen (besser als der Gesetzlose in Hateful Eight) und erwähnenswert ist auch, dass ich Jonah Hill erst hinterher beim nochmaligen Trailerschauen auf Hinweis einer Bekannten erkannt hab. Der hat ganz schön zugelegt, für die Rolle. George Clooney hat in vielen Szenen exakt die Gleiche Mimik drauf wie in O Brother, Where Art Thou. Während des Films haben ein paar Leute den Saal vorzeitig verlassen. Wahrscheinlich, um schnell auf IMDB den Film downzuraten. (Zu downraten? Wie formuliert man das, wenn man auf den Anglizismus nicht verzichten möchte? Ich struggle gerade. – Sorry, ich meinte: Das ficht gerade meine Syntax an.)

Plattendreher

Seit kurzem habe ich dank Christian einen ordentlichen Plattenspieler. In den Folgetagen stieg dann mein Investitionsniveau bei discogs&co exponentiell an. Ich mache mir nun Sorgen, dass dies nach meinem weißen Eingangrad – mittlerweile verkorkst und will ich in diesem Jahr mal angehen – und dem schön bunten Cyclocross ebenso dazu beiträgt, dass Diego mich für einen Hipster hält. Dabei ist mein Grundproblem, dass ich zu langsam bin, um zur Hipster-Avantgarde zu gehören.

Jedenfalls bin ich bei meiner Musikleidenschaft nicht nur auf gute Musik (z.B. Christian Scott), nachdenklich machende Musik (z.B. Edgar Wasser&Mine) oder schöne Musik (z.B. Nils Koppruch) gestoßen, sondern musste auch feststellen, dass es etwas anderes ist, eine Platte aufzulegen, als bei Spotify alles Mögliche dargeboten zu bekommen. Letzteres mag seine berechtigte Situation haben, wenn es geht, bevorzuge ich allerdings das Albumdurchhören.

Jetzt muss ich nur noch aufpassen, dass ich nicht zu hip werde, indem ich allerlei Trends progressiv hinterherjage und mich im Kreis drehe. Vorwärts ist keine Richtung.

Poincaré

Da ich nicht schlafen konnte, habe ich verschiedenste Musik gehört, bis ich schließlich mal wieder bei dem Liveauftritt der Omar Rodriguez Lopez Group in Los Angelos gelandet bin: Sie spielen dort „Un buitre amable me pico“ und „Poincaré“ hintereinander, was ich in dieser Form extrem gelungen finde. Vor allem das Schlagzeug, aber auch insgesamt der Rhythmus hauen mich um.

Mir hat dann keine Ruhe gelassen, wovon die Frau dort wohl singen mag. Da ich kein (Gossen-?)Spanisch kann, musste ich ziemlich lang und umständlich mit dem Google-Übersetzer rumfummeln, bis ich ein halbwegs brauchbares Ergebnis hatte – das sollte man jedoch nicht als Übersetzung ansehen, da haben ich und Google sicher einiges Neues beigemischt. Auf Youtube scheinen sich auch einige Kommentatoren für den Text zu interessieren. So hab ichs jedenfalls ins Deutsche gebracht:

 

Ein Geier pickt mich sanft (Un buitre amable me pico)

Ich bin, was zwischen den Abständen geschieht,
Zeit gefüllt mit Worten,
Bis die Minuten davonfliegen,
Wer auch immer sie nimmt.

Schlaganfall/Schriftzeichen – die Lösung, wenn ich aufwache,
Um einige Momente zu vergessen,
Die ich am Ufer des Flusses anhäufe,
Um Dich abzutragen.

 

Poincaré

Ich sah nicht die Weisheit der Gegenwart,
Zerstreuung,
Ruhe ist unauslöschlich.

 

Im Original lauten die Texte laut diverser Songtextseiten folgendermaßen:

Un buitre amable me picó

Soy lo que sucede entre distancias
Tiempo lleno de palabras
Hacia donde parten los minutos
Quien se los llevara?

Trazo solucion cuando me despierto
Mis momentos pa‘ olvidar
Lo que acumulo, la orilla del rio
Tuyo para deshacer

 

Poincaré

No miré
lo sabio del presente
coso para disipar
la calma es indeleble

„Trazo“ kann Schlaganfall aber auch Umriss, Strich oder Schriftzeichen bedeuten. Und beim Suchen nach einer Übersetzung des 2. Titels bin ich dann auf Henry Poincaré gestoßen. Er wird in Wikipedia als letzter Universalgelehrter bezeichnet, da er sich neben Mathematik unter anderem auch mit Geodäsie sowie Physik beschäftigte. Die Sätze, die dort zu seinen philosophischen Betrachtungen stehen, helfen womöglich, das Lied zu verstehen, sind aber auch so interessant:

Er schrieb auch philosophische Abhandlungen zur Wissenschaftstheorie und begründete dabei eine Form des Konventionalismus. Er trennte das Faktische von der Definition. Auch lehnte er die Klassifizierung in die beiden Extrema Idealismus und Empirismus ab und es gelang ihm in seiner Philosophie eine Verquickung von geistes- und naturwissenschaftlichen Fragestellungen.
Geprägt vom Fortschritts-Paradigma und Optimismus des 19. Jahrhunderts ging Poincaré mit einem mathematischen Naturverständnis und dem Experiment an die Arbeit. Er klammerte jedoch bewusst die Suche nach der Wahrheit als letzter Realität aus und operiert nicht mit metaphysischen Objekten – gewissermaßen formuliert er Aufklärung neu.

Und in dem im weiteren Verlauf des Artikels verlinkten Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten von Robert M. Pirsig liest man:

Der Name Zen im Titel des Werks Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten steht symbolisch für die Auffassung, dass eine bestimmte Herangehensweise zu Problemlösungen im Bereich der Technik führen kann. In dieser Herangehensweise hat der Beobachter sich selbst noch nicht so weit von der beobachteten Welt getrennt, dass er nur noch statische, unveränderliche Dinge vor sich sieht, die den Zwecksetzungen des Beobachters entsprechend funktionieren oder nicht funktionieren. Der Beobachter in dieser Herangehensweise ist noch so weit mit den Dingen verbunden, dass er Neues wahrnehmen kann, und dass er auf diese Weise die Dinge – und damit seine Welt – dynamisch den auftretenden Problemen anpassen kann.

Naja, keine Ahnung, wie das zusammenhängt. Jedenfalls stelle ich fest, dass ich mich nun seit etwa vier Stunden mit dem Thema zerstreue, anstatt zu schlafen. Was der Zerstreuung übrigens ganz besonders dient, wenngleich die Tonqualität miserabel ist, sind Omar Rodriguez Lopez, Flea und John Fruiscante bei diesem Auftritt 2004:

Spectre – Alte Erinnerungen

Das Dillenburger Kino ist legendär – zumindest empfand ich das so, als ich mal wieder seit Ewigkeiten dort war, um mir den neuesten Bond-Film Spectre (2015) im Gloria Jet anzusehen. Ich kann mich lustigerweise noch an eine Reservierungsnummer erinnern, die ich etwa vor 15 Jahren brauchte, weiß aber nicht mehr, zu welchem Film…

Naja, um es kurz zu machen: Ich fand Spectre längst nicht so unterhaltsam wie Skyfall, den ich damals insbesondere wegen Javier Bardems Auftritt ganz gelungen fand. Christoph Waltz hat mich diesmal nicht umgehauen. Ich fand ihn als Oberbösewicht aller (vergangenen) Bösewichte nicht plausibel, so wie die Figur mit ihrem Ziel der Totalüberwachung angelegt war. Da fand ich K1 schon wesentlich besser, der mit seiner K-Bombe das Verständnis für Zahlen auslöschen will. Außerdem waren mir die Actionszenen einfach zu viel des Gewollten. Ganz gut gefallen hat mir die Ästhetik des Films, wenngleich es schade ist, dass der Titelsong von Radiohead es nicht in den Film geschafft hat.

Was ich ganz nett fand waren eben die vielen Anspielungen auf den Film Zwei bärenstarke Typen (1983). Zum Beispiel fährt Bond einen kugelsicheren Wagen, bei den CIA-Agenten Steinberg und Mason ist sogar der Lack ihres Cabrios kugelsicher. Ich könnte jetzt noch mehr aufzählen, aber ich will hier nicht sehenswerte Filme zu sehr spoilern

Hamburg

Vergangenen Samstag habe ich in Hamburg ein Refused-Konzert besucht. Dazu hatte ich vor ein paar Wochen einfach Tickets bestellt, ohne mir weiter Gedanken zu machen. Die Show in den Docks war recht gut, sie haben entgegen meiner Befürchtung auch ältere Lieder gespielt. Älter war dann auch das Publikum, was mir dann vor Augen führte, das ich langsam zu den alten Leute gehöre, Junge.

Der Sänger, der in all seinem affektiert hippen Auftreten nicht nur sympathisch rüberkam, hielt zwischendurch immer wieder kurze Redebeiträge, persönlich politische Statements, bspw. zum Kapitalismus und Klimawandel. In seinem ersten Statement nahm er Bezug auf die jüngeren Pariser Terroranschläge und berichtete von einem Konzert in Antwerpen, das wohl zu der Zeit der erhöhten Sicherheitsmaßnehmen stattgefunden hat. Schwer bewaffnete Polizeieinheiten patroullierten demnach um das Gebäude, zwei Scharfschützen waren im Raum. Das sei für die Band ein blödes Gefühl gewesen, dies zu wissen, im Gegensatz zu den Besuchern.

Was später des Nachts krass war: Die Reeperbahn war so voll wie der Seltersweg Samstag Vormittags in der Weihnachtszeit. Insgesamt eine unglaublich dichte Gegend mit Sexkinos an der einen Stelle und katholischem Kindergarten um die Ecke, reicheren St. Pauli Besuchern und Pfandsammlern, die für leer werdende Anstehbiere beinahe Schlange standen. An den Landungsbrücken wars auch sehr nett, nur auch windig. Ganz gut gefallen hat mir die Bar kuchnia, empfehle ich vor allem wegen der interessanten Getränkeauswahl und der persönlichen Atmosphäre.

Modomoto

Stehe gerade in der Warteschlange der Postfiliale und beobachte, wie jemand ein riesengroßes Modomotopaket aufgibt. Das erinnert mich an meine Schnappsidee vor einiger Zeit in Berlin, auf die mich Diego gebracht hat: Mich von Modomoto einkleiden zu lassen. Man gab dort Größen und stilistische Vorlieben und ein Modeberater stellte einem eine Auswahl zusammen. Versand, Rückversand und der ganze organisatorische Kram gingen unkompliziert. Das einzige Problem waren die Klamotten. Ich hatte zwei oder drei Outfitkombinationen, die mir allesamt nicht gepasst haben. Und wenn sie mir gepasst hätten, wären sie ästhetisch untragbar gewesen. Das liegt dann wahrscheinlich aber eher an meinem Geschmack als an dem der Zusammensteller bei Modomoto.

 

Fazit: 1st-World-Problems.

5000 Kilometer

Vergangenen Freitag war ich auf einem Fotovortrag: 5000 km mit dem Rad. Christian Prior hat da von seiner Radreise 2014 von Rittershausen in den Kaukasus berichtet. Neben einigen schönen Schnappschüssen der Landschaften und detailierter Darstellung der Reisevorbereitung bot der Bericht einen persönlichen Blick auf verschiedene Erlebnisse, zum Beispiel auf den Ukrainekonflikt und dessen mediale Berichterstattung. Der Bericht hat mich an den Film Berlin2Shanghai erinnert, den ich mit Interesse gesehen hatte. Bin gespannt, ob ich mich davon anstecken lasse. Muss ja gar nicht weit werden. Brauch ich nur noch ein Randonneur.

Anschließend an den Vortrag haben wir mit ein paar Leuten spontan und zufällig in der Alten Brauerei in Ewersbach die recht gute Red Hot Chili Peppers Cover Band Mother’s Milk gesehen. War auch net schlescht.

„Meine elende Freiheit“

Bin durch nen Freund auf Spaceman Spiff gekommen. Seine Musik gefällt mir gut. Auf Bandcamp gibt es sein „Ich mach Pause“-Abschieds-Lied Norden gegen eine freiwillige Spende an Pro Asyl ab 0€, daher nicht umsonst. Finde ich das gut? Keine Ahnung. Gut finde ich in diesem entfernten Zusammenhang, was das Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus aus aktuellem Anlass schreibt: Zu den Terroranschlägen in Paris. Nicht so gut finde ich – scheinbar zusammenhangslos -, dass Herrenmagazin am Freitag bei ihrem unterhaltsamen Auftritt im Schlachthof in Wiesbaden nicht Der langsame Tod eines sehr großen Tieres gespielt haben. Ziemlich schrecklich finde ich die Vorstellung, auf die mich besagter Freund gebracht hat: Während ich auf dem Konzert war, sind im Bataclan Menschen beim Musikhören umgebracht worden. Auch wenn Eagles of Death Metal wohl kaum ein zufällig ausgewähltes Anschlagsziel war, ist mir dieser Gedanke etwas unheimlich. Trotzdem habe ich heute nach Konzertterminen von Spaceman Spiff geschaut – und bin dabei auf Norden gestoßen.

 

 

The Times They Are a-Changin‘

There are many here among us who feel that life is but a joke
But you and I, we’ve been through that, and this is not our fate
So let us not talk falsely now, the hour is getting late

Vor einigen Wochen war ich auf einer Jubiläumsfeier der Schreinerei astrein in Gießen dank eines Freundes, der dort mal gearbeitet hat. Neben gutem, mehr oder weniger veganem Essen und leckerem Weißwein gab es dort auch Musik. Zwei Brüder traten mit Liedern von Bob Dylan auf: Der eine coverte die Songs, der andere gab zuvor jeweils eine hessische Übersetzung/Adaption zum besten. Dylan’s Dream. Skeptisch, wie ich bin, kniff ich gedanklich zunächst eine Weile die Ohren zusammen. Bei „The Times They Are a-Changing“ hatte mich die Kombo dann aber überzeugt und ich war froh, an diesem Abend nicht woanders gewesen zu sein.

Übrigens, wie ein anderer Freund meint, soll dies hier eine der besten Coverversionen von All Along The Watchtower sein, besonders wegen des Bass:

Dem stimme ich gerne zu. (Etwas schade finde ich, dass Google den ersten Eindruck erweckt, der Song sei von Jimi Hendrix.)

There are many here among us who feel that life is but a joke
But you and I, we’ve been through that, and this is not our fate
So let us not talk falsely now, the hour is getting late

Grinding

Dank meines Crowdfundinganfalls vor ca. einem Jahr – was Crowdfunding ist, erfährt man z.B. von Diego – besitze ich seit einigen Tagen eine Kaffeemühle. Der ROK Coffeegrinder gefällt mir tatsächlich ganz gut. Vorteil: Das Teil braucht keinen Strom. Nachteil: Man muss per Hand grinden. Dieses geht aber doch spürbar einfacher als bei einer gewöhnlicheren Handmühle. Das Justieren des Stahlmalwerks – optional wohl auch als Keramikvariante vorhanden, keine Ahnung, was das bringt – lässt deutlich feineres Kaffeemehl zu als bei meiner elektrischen, die etwa gleich teuer war. Wenn man es arg fein einstellt, ist es beim Mahlen dann auch fast so laut wie bei einer elektrischen Mühle. Das feine Mehl führte beim ersten Versuch dann auch gleich dazu, dass ich den Hebel der La Pavoni trotz aller Kraftanstrengungen nicht oder nur kaum bewegen konnte. Ganze drei Tropfen hochkonzentrierter Espressobrühe konnten herausgepresst werden. Mittlerweile funktioniert das etwas besser und ich muss sagen, dass ich die Wichtigkeit der Feinheit des Kaffeepulvers unterschätzt habe.

Noch wichtiger ist es allerdings, den Kaffee mit guten Menschen entspannt zu genießen. Das sollte man hin und wieder auch mit einfachem Filterkaffee tun. Hilft ungemein, um kein Kaffeenazi zu werden.

grinder

rok