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Autor: Ole

Das Netz – ein öffentlicher Ort?

Nachdem sich Facebook mit rund 400 Millionen Nutzern und mehr Seitenaufrufen als Google wohl über lange Zeit ins Gespräch bringen wird (zusammengetragen auf netzsofa.net), hat sich mir die Frage gestellt, wie solche und andere Kommunikationsforen Teil einer neuen Form von Öffentlichkeit sind. Habermas zum Beispiel sieht eine fragmentierte Öffentlichkeit im Netz:

Das Web liefert die Hardware für die Enträumlichung einer verdichteten und beschleunigten Kommunikation, aber von sich aus kann es der zentrifugalen Tendenz nichts entgegensetzen. Vorerst fehlen im virtuellen Raum die funktionalen Äquivalente für die Öffentlichkeitsstrukturen, die die dezentralisierten Botschaften wieder auffangen, selegieren und in redigierter Form synthetisieren. (nachlesen: Habermas 2.0 – Strukturwandel der Öffentlichkeit reloaded)

Wer ein bisschen Zeit aufbringen will, kann dazu 175 Minuten lang einen Einblick in den Münchner Mediengipfel vom Oktober 2009 nehmen. Dort redet Richard David Precht von Minute 38:41 bis 54:37 in dieselbe Richtung, insbesondere ab 46:40 (krass: individualisiertes Kollektivdasein der vereinzelten Masseneremiten). Eine Gegenposition vertritt Felix Neumann in seinem Blog:

Prechts Politikverständnis ist hoffnungslos veraltet: Für ihn kann strenggenommen nur die Agora in Athen bestehen, denn dort werden wirklich alle Fragen von öffentlichem Belang in einer gemeinsamen Öffentlichkeit diskutiert. Schon vor dem Internet war die Gesellschaft zu groß und zu komplex, als daß man ernsthaft annehmen konnte, daß ein völlig homogener Diskursraum möglich sei. Natürlich ist auch der öffentliche Diskurs arbeitsteilig; zum Glück muß ich nicht am öffentlichen Diskurs über etwa Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (zweifellos ein enorm wichtiges Thema!) teilnehmen. Das »fragmentiert« den Diskurs aber nicht, das segmentiert und ordnet ihn – und nur dank dem Netz kann ich schnell nachlesen, was es damit auf sich hat, und weil das Netz bisher fragmentierte Öffentlichkeiten verbindet, kann ich mich bei Bedarf ungleich tiefgreifender informieren, als das ein Drei-Minuten-Beitrag in der Tagesschau oder ein Zeitungsartikel könnte. (nachlesen: Das Netz integriert Öffentlichkeiten. Gegen Precht)

Tja, da steht man nun und weiß nicht recht weiter. Irgendwie geht es ja bei ‚Öffentlichkeit‘ vor allen Dingen darum, was man annimmt, welche Auffassung andere zu bestimmten Themen haben und welche dieser Meinungen vorherrschend sind und welche Position man selbst zu dieser vorherrschenden Meinung einnimmt. Dass dabei nicht immer die mehrheitlichen Meinungen vorherrschend sein müssen, sondern vielleicht sogar die selbsteingeschätzte Gegenposition mehrheitlich aber nicht vorherrschend ist – dazu braucht man nicht die Weisheit eines Roland Kochs. Nun trägt zu dieser schweigenden Gegenposition vielleicht auch etwas die Anonymität des Lesers bei (dazugehörige These). Für schwerwiegender erachte ich allerdings, dass große Bevölkerungsgruppen einfach nicht teilnehmen am digitalen Austausch. Und wenn man selbst keine Emailadresse hat, womöglich ohne Handy durch die Gegend läuft und nicht über 50 Jahre alt ist, dann ist man absonderlich – so die von mir behauptete öffentlich vorherrschende Meinung. Dass diese Meinung zu kritisieren ist, da werden mir sicherlich die meisten zustimmen… – Wie dem auch sei, was ich eigentlich sagen wollte:

Ob Fora oder Foren: Wo viel Gerede, da ist viel Schweigen.

PS: Das führt weiter weg, ist aber nicht weniger interessant: Ist ein globales demokratisches System möglich?

Kaffeefahrt zur Qualitätsentwicklung: „I needs a beer“

Gestern war ich in Frankfurt beim dortigen Amt für Lehrerbildung, um an einer Testleiterschulung im Rahmen des Instituts für Qualitätsentwicklung teilzunehmen. War an sich auch ganz spannend, bis auf die Schulung. – Geht halt letztlich um Statistik: Objektivität, Validität, Reliabilität. Das Ziel davon ist es, den Schulen Tests zur Verfügung zu stellen, deren Ergebnisse als  nationaler bzw. landesweiter Leistungsvergleich der schulinternen Evaluation dienen sollen. Dahinter steckt der meiner Ansicht nach alte Irrtum, dass Bildung messbar bzw. objektivierbar sei. Nicht, dass keine Bildungsstatisitk Wert besitze, aber ich erachte es als gefährlich, ein Instrument zu entwickeln, das behauptet, endlich objektiv, sprich: „wahrhaft“, einen wie auch immer gearteten Leistungsstand darzustellen. Letztlich ist das die gleiche Diskussion, die sich auch um die Zensuren dreht.

Was dann noch mehr Unmut in mir hervorrief, waren die Kartons mit Testmaterialien, die wir je nach Anzahl unserer Schulbesuche in die Hand gedrückt bekamen. Die konnten wir in vom IQ organisierte REWE-Tüten stecken, sodass wir wie Kaffeefahrtteilnehmer im vollbesetzten Zug aus Frankfurt wegfuhren. Fünf Personen mit 10 Rewetüten belagern sieben Plätze (die Kartons passten nicht in die Gepäckablage). Ich will nicht wissen, was die Leute über unsere Herkunft gedacht haben – dass wir es nötig haben, nach Frankfurt zum Rewe einkaufen zu fahren…

Auf der Fahrt saß ich mit einer Freundin auf einem vollgepackten Viererplatz, als eine Frau mit einer Gruppe Reisender ankam. Sie befahl ihren Begleitern, wo sie sich hinsetzen sollten. Alle wirkten ein bisschen – ich weiß jetzt nicht, wie ich es ausdrücken soll – prekär/bildungsfern/heruntergekommen. (Bei dem Herrn, den sie in unseren Viererplatz plazierte, nachdem wir unsere Kartons auf einen Platz gestapelt hatten, bekam ich nach kurzer Zeit extreme Lust auf alten Käse.) Die dominante Dame, die mich ein bisschen an das Klischee einer älteren Zigeunerin erinnerte, fragte dann unseren neuen Reisebegleiter, während sie ihn hinsetzte, wo er denn herkäme, sie würde einen arabischen oder persischen Hintergrund vermuten. Er kuckte nur ein bisschen komisch und sagte, dass er aus Deutschland komme (Rüsselsheim, wie ich im späteren Gespräch mit ihm erfahren konnte). Die Dame erklärte ihm, dass ihr eigener Freund aus Rumänien komme, das sei ein ganz ausgezeichneter Menschenschlag, und setzte sich zwei Reihen weiter auf ihren Platz. Ich konnte beobachten, wie sie nach kurzer Zeit asiatisches Essen auspackte, das mit seinen süß-sauren Soßen die ohnehin schon exotischen Gerüche im Wagon ergänzte. Sie aß aus einem viergeteilten Plastikteller, als ich mitbekam, wie sie den Preis ihrem Sitznachbarn vorrechnete: „1,60 das hier, 1,70 das und die beiden Soßen je 50 Cent. 3 Euro für einen ganzen Teller, da kann man nicht meckern!“ Ich verkniff einen Kommentar, der zwar vielleicht zu einer Qualitätsentwicklung hätte beitragen können, aber irgendwie fühlte ich mich mit meiner Rewetüten-Armada nicht sehr qualifiziert. Außerdem war ich sowieso vollkommen vereinnahmt von dem Telefongespräch, das der prekär plazierte Herr mir gegenüber mit seinem Schwager führte. Dabei fluchte er gar nicht arabisch oder persisch, sondern äußerte sich ziemlich auf Gutdeutsch. Er sprach auch ziemlich laut. Worum es ging, war mir nicht ganz klar, aber als ich ihn nach seinem Telefonat darauf hinwies, dass er ja ziemlich deutliche Worte gefunden habe, meinte er, das sei die einzige Sprache, die sein Schwager verstünde. Wir kamen ein wenig ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass er die Dame und deren Begleiter mitfahren ließ auf seinem Hessenticket. Die kannten sich also alle nicht. Als er dann eine Cola aus seinem Rucksack hervorkramte, erklärte er mir, dass er die brauche, weil er nicht so gerne Zug fahre. Das sei ihm zu eng und zu viele Leute und so. Das Problem konnte ich teilen. Was das Ganze mit Cola zu tun hatte, hab ich nicht verstanden. Er telefonierte schließlich noch ein paar mal, um irgendjemanden sein Fahrrad von irgendwo nach irgendwoanders bringen zu lassen, das aber so laut, dass Schallwellen und Geruchsmoleküle fortan ein Belästigungsduell miteinander führten. Nachdem er nach Beendigung eines Telefonats plötzlich aufstand und so für eine unerwartete Luftbewegung sorgte, konnte ich seufzend den Sieger ausmachen. Während er weg war, erfuhr ich dann durch arglistiges Belauschen der Zigeunerfrau – ich meine, vielmehr durch geschulte Beobachtungen als neuerlicher Testleiter zur Qualitätssicherung, dass sie dem Deutschen mit arabisch-persichem Hintergrund ganz und gar nicht traue und dass sie und ihr Begleiter sich vor ihm in Acht nehmen müssten. Als sie dann nach ihrem exotischem Mahl meinte „I needs a beer“ und ihr Begleiter ihren Wunsch erfüllte, war ich glaube das erste Mal in meinem Leben neidisch auf jemanden, der ein Bier aus einer PET-Flasche trinkt. Denn das hätte dieser absurden Zugfahrt wenigstens noch etwas Sinn verliehen.

Bildung mag zwar nicht messbar sein, aber im Zug war sie irgendwie fühlbar.

Doppelter Stempeltag

Nachdem ich Freitag im Scarabee und Samstag im MuK war, ist heute ein gleich doppelter Stempeltag. Ein Freund meinte, dass ich, nachdem ich die letzten zwei Wochen intensiv an meiner Examensarbeit gearbeitet hätte, ich mich nun mindestens ebenso intensiv und lange vergnügen könne. (Er selbst war auf Dienstreise in Gießen.) Trotzdem fühle ich mich heute nach ein bis zwei Wodkatonics (aber bitte ohne Zitrone!) doch recht ausvergnügt – Stempeltag halt. Aber es hat sich gelohnt, hab gestern ne ganz coole Band gesehen, die Instrumental-Musik gemacht hat: Increditunes. Leider haben sie keine Studioaufnahmen und somit keine CD, aber die MySpace-Seite ist auch für Außenstehende recht aufschlussreich. Besonders das Basssolo in Minute 5:35 des ersten Videos war auch gestern nicht schlecht:

Jedenfalls gehts jetzt erst mal Duschen, Stempel abmachen, und dann in die UB, arbeiten.

Brustschwimmer sind einfach benachteiligt

Am Mittwoch war ich Schwimmbad unterwegs, um dem Druck der noch zu schreibenden Examensarbeit auszuweichen – mein Gewissen nahms sportlich. Ich schwomm am Rand im Kraulstil, mir eine Bahn sichernd, friedlich vor mich hin, als plötzlich ein Mitfünfziger auf Ärger aus war. Das hab ich zunächst nicht erkannt. Man muss wissen, dass es gerade beim Kraulen am angenehmsten ist, wenn man einfach geradeaus schwimmen kann, da man nicht automatisch nach vorne schauen kann, sondern den Kopf nach oben streckend etwas unnatürlich verrenken muss, um einen Blick zu erhaschen. Nicht dass es unmöglich wäre oder extrem schwierig, es ist einfach auf Dauer belastend und ständig nach vorne schauen geht eh nur effektiv beim Brustschwimmen. Jedenfalls schwamm ich gerade an besagtem mittelaten Herrn vorbei, als der rüber zog auf „meine“ Bahn, mich dabei wohl übersehen hatte und mir brustschwimmenderweise vermutlich unabsichtlich mit der Hand ins Gesicht schlug. Das Wasser dämpfte den Schlag und es war nicht weiter schlimm, also schwimmte ich weiter. Als ich am Bahnende ankam und mich rumdrehte, sah ich noch, dass Herr Brustschwimmer mir meine Bahn streitig machen wollte – was ich doof fand. In der Hoffnung, dass er das nur noch nicht richtig bemerkt habe, schwamm ich weiter auf der Bahn. Im letzten Moment – man sieht beim Kraulen ohne besagte Kopfanstrengung geschätzte vier Meter weit nach vorne – wich ich ihm aus, er berührte mich mehrmals, was ich merkwürdig fand, aber da ich schwimmen wollte, schwamm ich weiter. Und da ich geradeaus schwimmen wollte, suchte ich mir ne andere Bahn in der Mitte. Nach weiteren 100 Metern am vorderen Beckenrand angekommen, maulte mich eine erboste Stimme an, kurz bevor ich wieder abtauchen wollte. Ich stoppte, schließlich hatte ich Wörter wie „Nötigung“, „Straßenverkehr“ und „Bademeister“ vernommen sowie einen Blick, der das Ganze auf mich bezog. Als der Brustschwimmer sich meiner Aufmerksamkeit gewiss war, fing er an, das noch mal in anderer Reihenfolge zu wiederholen, jetzt noch etwas mehr in Rage. Er habe mich vorhin mehrmals angesprochen (er meinte wohl die High-Noon-Situation auf der Außenbahn, wo ich ständig Wasser um meine Ohren hatte) und fände mein Verhalten eine Unmöglichkeit und wenn das noch mal vorkäme, werde er den Bademeister „einschalten“. Ich glaub, ich war auch sauer, aber mehr so aus emotionaler Reaktion, hab glaube aber nichts Schlimmes gesagt. Er wiederholte seinen Standpunkt und als mir das Ganze zu redundant wurde, sagte ich, dass ich einfach nur schwimmen möchte, er den Bademeister ruhig holen solle und ich mich jetzt verabschieden würde. Das war mir echt zu blöd, also schwomm ich weiter meine Bahnen, jetzt in der Mitte, direkt neben dem Brustschwimmer; die Außenbahn war übrigens von da an einsam mit sich selbst beschäftigt. Wegen der widrigen Störmungsverhältnisse hätte ich den Brustschwimmer übrigens später beinahe tatsächlich touchiert, aber irgendwie passierte nichts weiter. Unter Dusche dann trafen wir uns wieder und er wirkte in Angesicht meines wenig gestählten Körpers etwas irritiert, schließlich hatte er einen durchtrainierten und daher arroganten Schwimmer erwartet, vermute ich. Auf dem Parkplatz stiegen wir was zeitgleich in unsere nebeneinander geparkten Autos und ich dachte nur, dass ich nicht hinter ihm fahren wollte. Also beeilte ich mich und rammte dabei fast ein anderes Auto…

Schon krass, was bei so ein bisschen Schwimmen passieren kann. Ich glaube, dass der Herr Brustschwimmer schon morgens beim Aufstehen gedacht hat, er wolle heute ins Schwimmbad, um ein bisschen Krawall zu suchen. Anders kann ich mir nicht erklären, dass er alle Zeichen als gegen ihn gerichtet deutete und mir nicht nur die erste Bahn sondern kurz drauf auch die mittlere Bahn streitig machen wollte. Dabei hat er einfach nicht verstanden, dass Rückenschwimmer nie, Kraulschwimmer selten und nur Brustschwimmer kontinuierlich beim Schwimmen nach vorne schauen. Das hat wenig mit Arroganz und viel mit der Sportart zu tun…

PS: Was für eine romantische Vorstellung, der Bademeister sei der letzte Hüter von Recht und Gerechtigkeit im Becken der Anarchie. Bringt dem Beruf grad noch ein bisschen mehr Glanz entgegen.

Wenn mehr Möglichkeiten weniger Freiheit bedeuten

Mit den modernen Kommunikationsmöglichkeiten steigen die Freiräume des Einzelnen. … – Weit gefehlt: Neulich berichtete ein Ausbilder im Studienseminar, dass es noch vor rund zehn Jahren üblich gewesen sei, die schriftliche Unterrichtsvorbereitung in ausgedruckter Form morgens vor der Unterrichtsstunde vom Referendar in die Hand gedrückt zu bekommen. Heute ist es üblich, dass wir LiV (=Lehrkfräfte im Vorbereitungsdienst) am Vortag abends den Entwurf dem Ausbilder zumailen, in der Regel bis 18h. Wenn ich das Lernverhalten meiner Schüler und auch mein eigenes beobachte, schließe ich daraus, dass es früher viele Referendare gab, die eine durchgemachte Nacht hinter sich hatten, um morgens den Entwurf frisch ausgedruckt mit in die Schule bringen zu können. Das ist im heutigen Ausbildungssystem nicht mehr möglich. Ausnahmsweise hat das mal nichts mit der Reform des Systems, sprich: der Modularisierung zu tun, sonder mit der „Reform“ der Kommunikationsmöglichkeiten.

Das ist ausnahmsweise mal kein Gejammer, ich will weniger wertend diesen oder jenen Zustand bevorzugt darstellen. Es ist aber bemerkenswert, dass auf nahezu selbstverständliche Weise durch den Zuwachs an Möglichkeiten die Selbstbestimmtheit verloren geht.

Gestern erzählte mir ein Freund eine amüsante Geschichte: Ein Jugendlicher sei auf ihn zu gekommen und sagte, er brauche Hilfe beim Schreiben seines Praktikumsberichts. Das heiße, formuliert sei er schon, er müsse aber noch ins „Internet geschrieben“  werden. … – Als er das erzählte, dachte ich zu aller erst, dessen Schule habe ein Online-System entwickelt, um Praktikumsberichte „praktischerweise“ einfacher darzustellen. Dann dachte ich, dass man das bestimmt nutzen könne, um im Stil von Blogeinträgen die Schüler in Zukunft zu Tagesberichten zu veranlassen. Ich dachte an die Praktikumsberichte, die ich bislang geschrieben hatte und vor allem, wie ich diese geschrieben hatte, und bekam eine leichte Dystopie-Blässe  im Gesicht. Besagter Freund spannte mich glücklicherweise nicht länger auf die Folter und offenbarte mir, dass für den Jugendlichen die Begriffe „Computer“ und „Internet“ dasselbe bedeutet hätten und er einfach den Bericht digitalisieren wollte. … Da bin ich noch mal mit dem Schrecken davongekommen.

Aber wer weiß, toll wärs schon, wenn man als Lehrer mal sehen könnte, zu welcher Uhrzeit die Schüler ihre Hausaufgaben machen. „Aufsatz veröffentlicht von Artur am 10.01.2017 um 07:22 Uhr in der Kategorie ‚Erörterungen‘ “ Mann, das wäre ein Machtzuwachs. – Solange die Schüler nicht mitbekommen, wann ich meinen Unterricht vorbereite…

PS: Wer hier was Philosophischeres erwartet hat, muss zwischen den Zeilen lesen. Mein Verständnis von „Freiheit“ hat übrigens wenig mit „Freiräumen“ zu tun…

Hiobs Frage

Massoud hatte mich vorgewarnt, daß Tante Lobats ganzer Körper vom Ausschlag wund sei und offenbar schrecklich jucke; ständig müsse sie massiert werden, eingeölt oder einfach nur gekratzt. Obwohl sie ihr Morphium gaben, wimmerte sie den ganzen Tag kläglich vor sich hin, wenn sie nicht aufschrie, daß es noch den Nachbarn ins Mark gehen mußte, oder vor Schmerz gleich in Ohnmacht fiel. Man liest das in Romanen, daß Menschen auf einen Schlag um ein halbes Menschenleben altern können. Hier war das so: Ein Jahr zuvor hatte mich eine zwar schmerzgeplagte, aber fröhliche Frau von siebzig, fünfundsiebzig Jahren verabschiedet, nun war ich zurückgekehrt zu einem hautbespannten Skelett, bei dem sich das Alter schon nicht mehr schätzen ließ. Bewegen konnte sie nur noch die Hände, sprechen nichts außer der unverständlichen Reihung von Silben. Die Haare, die sie, seit ich denken kann, immer zusammengesteckt und bei Besuch unter einem Kopftuch versteckt hatte, breiteten sich schneeweiß in alle Richtungen aus, zogen sich wirr übers ganze Kissen und bis zur Brust herab. So sehr war sie abgemagert, daß sich in ihrem einst kugelrunden Gesicht alle Wölbungen und Einkerbungen des Schädels abzeichneten. Um so größer waren die Augen, die mich aus tiefen Höhlen anstarrten, als ich das Zimmer betrat.

Mein Gebein hanget an mir an Haut und Fleisch, und ich kann meine Zähne mit der Haut nicht bedecken. Erbarmet euch mein, ihr meine Freunde! denn die Hand Gottes hat mich getroffen (Hiob 19, 20-21)

Ich werde ihren Blick nie vergessen: Er war mehr als nur leidend, er war zornig und zugleich von tiefer kindlicher Furcht, in angestrengter Nachdenklichkeit, ratlos, hilflos und zugleich beschämt. Ja, es war ihr peinlich, nicht nur in einen solchen Zustand gebracht worden zu sein, sondern dabei auch noch von allen gesehen zu werden, dazu all diese Umstände, Mühen und Kosten, die sie verursachte. Sie war bei klarem Bewußtsein, das hatte mir Massoud vorher schon gesagt, damit ich nicht erschrecke, aber ich hätte es auch sofort an ihrem Blick bemerkt.

Die Tränen in den Augen mußte ich nicht verbergen, da sie ohnehin wußte, was vor sich ging. Auch sie weinte. Sie nahm präzise wahr, was mit ihr geschau, was sie durchlitt und daß wir ihr zusahen; sie reflektierte es, darauf deutete die Konzentration in ihrem Blick hin, aber ihr waren die Möglichkeiten genommen, darauf zu reagieren, es wenigstens zu kommentieren. Das machte sie wütend, das spürte ich genau. Sie wollte das nicht hinnehmen, alles andere, aber das nicht. Deshalb unternahm sie immer neue Anläufe zu sprechen, ohne daß es ihr gelang, die Zunge zu den Sätzen zu bewegen, die sie auf den Lippen hatte. Sie stammelte etwas, blickte in unsere fragenden Gesichter, stellte fest, daß sie sich wieder nicht hatte verständlich machen können, und zuckte mit dem Kinn nach oben, um den Kopf im gleichen Augenblick verbittert von uns abzuwenden. Für mich war dies schwerer zu ertragen als die Schmerzensschreie: dieser nach oben zuckende und dann wegdrehende Kopf, das Wegwerfen, das sich darin andeutete, oder besser gesagt, der Versuch, es wegzuwerfen, das elende Leben, das den Aufwand nicht lohnt. Aber es ging nicht, nicht einmal das ging, denn es blieb an ihr haften, das Leben, sie konnte es einfach nicht abschütteln. „Gewöhnlich sagt man einem Menschen, dessen Zustand aussichtslos ist: ‚Gib es auf, leg dich hin und stirb!‘ “ heißt es in einer Erzählung Sadeq Hedayats. „Aber was geschieht, wenn der Tod dich nicht haben will, wenn er dir den Rücken zukehrt, wenn er einfach nicht zu dir kommt, nicht zu dir kommen will?“ Sie mußte weiter vor uns ausharren.

Und dennoch, so unangenehm ihr, der Glaubensstarken und immer Geduldigen, es war, vor uns so erbärmlich vorgeführt zu werden – noch schlimmer war für sie, wenn wir sie verließen, und sei es nur, daß einer aufs Klo mußte, denn sie vermochte nicht zu beurteilen, ob man auch wiederkommen würde. Sie verstand offenbar nur Bruchstücke dessen, was wir ihr zubrüllten, und dann war es auch so, daß sie uns oft nicht zu glauben schien, daß sie dachte, Badri oder Moussad würden sie nur schonen, wenn sie sagten, ihre Enkelin, ihr Bruder, ihr Neffe kämen gleich zurück. Wenn sie merkte, daß wir aus dem Zimmer gehen wollten, bettelte sie panisch wie ein kleines Kind, das nicht allein zu Hause bleiben will, da sie jedesmal dachte, wir würden nun nach Deutschland zurückkehren und sie würde uns nie mehr sehen. Wenn es einen Menschen gab, den Glaube und seelische Verfassung stark genug gemacht hatten, Schmerzen und Unheil zu erdulden, war sie es, aber das hier, das ging schlicht über ihre Kräfte hinaus, sogar über ihre Kräfte. Damit hatte sie nicht rechnen können, daß es so schlimm werden könnte, das hatte ihr niemand gesagt. Es stand in keinem Buch, nicht einmal im Buch Gottes, in dem sie täglich gelesen hatte. Es zog sich noch beinah ein Jahr hin, juckend, schmerzend, von Eiter überzogen: ein Martyrium. „Siehe da, er sei in deiner Hand“, sprach der Herr zu Satan (Hiob 2,6), der daraufhin Hiob mit bösartigen Geschwüren von der Fußsohle bis zum Scheitel schlug: „Mein Fleisch ist um und um wurmig und kotig; meine Haut ist verschrumpft und zunichte geworden.“ (7,5)

Gewiß ist Hiob keine Person aus unserem täglichen Leben. Dennoch muß man nicht in die Geschichte oder ferne, krisengeschüttelte oder von Katastrophen heimgesuchte Länder gehen, um ihn zu finden. Ein Besuch im Spital genügt. Man braucht nicht einmal zu den Schmerzpatienten gehen. Die Scham kann den Menschen ähnlich zersetzen, das sagen einem alle Pfleger. Dort habe ich ihn getroffen, nur noch 46 Kilo schwer, der auf dem Stuhltopf saß und eine hellbraune Flüssigkeit schiß. Bett und Kleider waren verschmiert. Der Pfleger stülpte sich Handschuhe über und wusch Po und Geschlecht des Wimmernden behutsam mit einem Schwamm. Bestürzter hätte mich Hiob nicht ansehen können. Viel schlimmer als die Schmerzen war für meinen Großvater, daß er am Ende die Herrschaft über seine Blase verloren hatte. Man macht sich hier keinen Begriff davon, was es in Iran vor zwei, drei Jahrzehnten noch bedeutete, Oberhaupt der Familie zu sein, welche Würde es zugleich voraussetzte und mit sich brachte. Und da sah ich Dreizehnjähriger nun, wie sich Großvater vor allen Leuten in die Hose machte, und ich war dabei, als meine Tante Jaleh ihm die Unterhose wechselte. Dabei hatte er für sich von Gott nur zwei Dinge erbeten, wie mein Bruder ein paarmal mitgehört hatte: vor seinen Kindern zu sterben, was ihm nicht vergönnt war, da sein jüngster Sohn übernächtigt gegen einen Baum fuhr, und zu sterben, bevor er auf die Hilfe anderer angewiesen war. Nun hatte Gott ihm, dem Stolzen, die Hilflosigkeit ausbuchstabiert wie ein pedantischer, unnachgiebiger Lehrer. Auch Tante Lobat quälte die Scham über die eigene Schwäche, das sah ich genau. Nicht einmal Hiob, der nackt auf der Asche sitzt und sich mit einer Glasscherbe kratzt, der einst vor allen gerühmte Hiob hält es aus, daß Gott ihn zum Spott für die Leute ausgestellt hat: „Mein Odem ist zuwider meinem Weibe, und ich bin ein Ekel den Kindern meines Leibes. Auch die jungen Kinder geben nichts auf mich; wenn ich ihnen widerstehe, so geben sie mir böse Worte. Alle meine Getreuen haben einen Greuel an mir.“ (19, 17-19)

Hiob konnte wenigstens noch klagen; meiner Tante war selbst dies verwehrt, sooft sie immer wieder neu versuchte, wenigsten einen einzigen Satz zu artikulieren. „O hätte ich einen, der mich anhört!“ (31, 35) Alle in meiner Familie, auch die Alten, waren sich einig, daß ihr das grauenvollste Sterben zuteil geworden war, an dem je einer von uns teilgenommen, von dem je einer gehört hatte – ausgerechnet ihr, der Gottesfürchtigsten unter uns, der Gerechtesten. Das genau ist die Erfahrung Hiobs, nicht nur das Leiden, auf welches das Christentum mit dem Kreuz eine entschiedene Antwort gibt, sondern dessen Ungerechtigkeit, das gottgewollte Unrecht, auf das auch das Kreuz nicht antwortet. Niemand hat es weniger verdient als er: „Denn es ist seinesgleichen nicht im Lande, schlecht und recht, gottesfürchtig und meidet das Böse“, spricht Gott, bevor Er Hiob dem Satan überläßt (1,8). Gerade weil Hiob gerecht ist, muß er leiden. Und wie Hiob zu Gott sagt, „Laß mich wissen, warum du mit mir haderst“ (10,2), so schien im bohrenden Blick meiner Tante die Frage zu liegen, warum Gott sie dem Bösen preisgegeben hatte – warum ausgerechnet sie? „Ist denn auf meiner Zunge Unrecht, oder sollte mein Gaumen Böses nicht merken?“ (6,30) In allen anderen Situationen hätte das eine selbstsüchtige Frage sein können. Hier war es die Frage nach dem Sinn, die Kernfrage Hiobs: Wie sind das Leid und die Ungerechtigkeit in der Welt in Einklang zu bringen mit dem Bild, das uns von Gott gelehrt wurde?

Aus: “Der Schrecken Gottes” von Navid Kermani

Koffein, Selbstbefriedigung und Instrumental-Musik

Neulich ging ich mit einem Freund in der Uni-Mensa essen. Auf dem Rückweg zur UB stach uns eines der „Jesus lebt!“-Plakate ins Auge, die doch recht vehement die ein oder andere Feierlichkeit überklebten. Neugierig schaute ich mir ein Plakat etwas genauer an – die Schrift war stellenweise sehr klein und ich musste echt nah ran gehen. Im Wesentlichen stand dort etwas wie „Jesus kam in eine verdorbene Welt, verdorbene Menschen kommen nicht in den Himmel.“ Als Beispiele für die Verdarbtheit der Welt waren nun einige Begriffe brainstormartig aufgelistet, u.a. „Schwulitäten„, „Kneipe“ und „Koffein“ stand dort. Jetzt ist ja Enthaltsamkeit spätestens seit der Straight-Edge-Bewegung, die im Punk irgendwie ihre Wurzeln hatte, nichts Uncooles mehr. Allerdings dürften einige Hardcore-Fans doch so ihre Probleme damit haben, was ich noch zum Vorschein brachte, als ich den auffällig auf dem Plakat aufgeklebten Begriff „Selbstbefriedigung“ abpiddelte: Im Original stand dort „Instrumental-Musik“. Da war wohl jemand lernfähig. Dumm nur, wenn man einen großen Druckauftrag von Plakaten bestellt und hinterher feststellt, dass sich Sünde ändert. Vielleicht hat der Plakaturheber auch nur irgendwann doch mal in der Bibel gelesen und stieß auf die Geschichte der Eroberung Jerichos (Josua 6) auch mithilfe von Instrumenten. Oder er las von David, der harfespielend König Saul zu beruhigen wusste (1. Samuel 16). Vielleicht war er auch einfach nur mal in einer Kirche, um der Orgelmusik zu lauschen. Jedenfalls stelle ich mir jetzt eine Redaktionssitzung vor: „Scheiße, wir brauchen eine neue Sünde!“ … „Selbstbefriedigung!“ – „Na klar, warum sind wir da nicht eher drauf gekommen?!“. – Ok, Entschuldigung für das Niveau. Aber ich finde, der Begriff beschreibt tatsächlich den Antrieb des Urhebers der Plakate.

Der Freund, mit dem ich zuvor essen war, meinte auf jeden Fall, dass solche Plakate die ganze Sache kaputt machen würden. Ich glaube, dass an diesem Gedanken zwar was dran ist. Allerdings denke ich auch, dass sich jemand mit ernsthaften Beweggründen nicht von solchen Plakaten davon abbringen lassen wird, nach Gott zu suchen.

Nachtrag:
Auf der Seite http://www.bekehrdich.de findet man das Plakat.

PS: Grad ist mir das Tollste an der Seite aufgefallen: Irgendwo unten steht „Ende meiner Homepage„. Mit einem Satz mal eben so alle Festen von Hypertext ins Wanken gebracht, find ich toll.

Was von Darwin übrig blieb

Ich schaute gerade eine Wiederholung der Sendung Wissenschaftsforum auf Phönix mit dem Titel „Was von Darwin übrigblieb… – Die Evolution und ihre Folgen„. Ein Gedanke zu Beginn vom Darwinliebhaber gefiel mir, der darauf verwies, dass zwar Konkurrenz ein treibendes Prinzip der Evoulution nach Darwin sei, dazu aber Vielfalt eine unbedingte Notwendigkeit sei. Also letztlich das stärkste Argument gegen einen Sozialdarwinismus von Darwin selbst. Ansonsten war ich doch eher auf der Seite des Theologen, nicht nur, weil er schön zugespitzt formuliert hat. (Kostprobe von anderer Stelle: „Experimente der Hirnforschung auf der Suche nach Gott sind ungefähr so sinnvoll wie das Zerlegen eines Fernsehgerätes auf der Suche nach Ulrich Wickert.“)  Er hat auch deutlich gemacht, dass das Interessante an Evolution die Prozesshaftigkeit ist, dass man aber all zu schnell ihre Gesetzmäßigkeiten auf jeden Prozess zu übertragen versuche. Zumindest hab ich mir das so rausgezogen. Jedenfalls vergisst man meiner Ansicht nach zu schnell, dass die Naturwissenschaften beschreibende Wissenschaften sind und darin auch ihre Stärke liegt. Schwach wirds aber dann, wenn man das vergisst. Oder anders gesagt: Wer nur genug beschreibt, erklärt noch lange nichts.

Atheisten sind aber gläubig

Ich bin vor kurzem, nachdem ich diesen tp-Artikel samt Kommentaren geleesen habe, hier über diesen Gedanken gestolpert:

Der gern geäußerte Vorwurf , beim Atheismus handle es sich auch nur um eine weitere Religion, entspringt der Vorstellung, auch derjenige sei abergläubisch, der keine Angst vor schwarzen Katzen hat.

Nach ein wenig Grübeln hab ich bemerkt, dass der Gedanke nicht funktioniert. Schließlich steht die Existenz der schwarzen Katze nicht infrage. Auch hab ich nach Leesen dieses Eintrags den Eindruck, dass der Autor der Seite sich in den Kategorien verstrickt, gegen die er kämpft.

Jetzt gehts mir nicht um die Ehrenrettung eines dialektischen Gedankens. Viel spannender bei dem Ganzen finde ich die Frage nach der Bedeutung des Begriffs ‚Glauben‘, was ja letztendlich in all dem steckt. Ich stell mir jetzt mal vor, ich sei jemand, der, hoch reflektiert, dabei nicht unnötig affektiert sondern eher ehrlich und bescheiden, sich selbst als Atheist bezeichnen würde. Ich würde vermutlich auf Kirche, Religion, die Welt verweisen, die Klugheit der Antike, die wenige im europäischen Mittelalter betonen und so versuchen aufzuzeigen, dass es eine schlechte, von Menschen gemachte Welt sei, die aber, weil sie von Menschen gemacht sei, besser werden könne, eben genau dann, wenn die Menschen erkennten, wessen Geistes Kind sie wären und sich von den Verblendenden Reden derer befreiten, die da an eine moralische Vormacht außerhalb dieser Welt glauben. Ich würde also versuchen, die Menschen von ihrem schlechten Glauben zu befreien, einer Unvernunft, die nicht auf Erkenntnissen, auf Fakten, Logik, auf Beweisbarem sondern auf blinden Vorstellungen beruht. Ich wäre der Ansicht, dass die Kategorie ‚Wissen‘ über der des ‚Glauben‘ steht, da ja schließlich etwas zu wissen valider sei, als etwas zu glauben. In all dem würde ich nicht loskommen können von den Ansichten derer, die da glauben, würde sie insgeheim lächerlich finden, ihnen das aber nicht so deutlich offenbaren wollen, würde mich damit beschäftigen wollen, was jemanden dazu treibt, zu glauben, obwohl er wissen kann. Mit der Dauer der Auseinandersetzung mit Religionen und Kirchen würde ich vermutlich verbitterter, weil ich sehen würde, wie sich die Naivität überall wiederholt und ihre Kreise zieht. Irgendwann vor meinem Tod würde ich den Kopf schütteln und denken: „Ich habe es richtig gemacht – mit allen Fehlern, die dazugehören, aber im Grundsatz richtig.“ Ich weiß nicht, ob ich jemals erkannt hätte, dass ich andere letztlich nur von meinen Ansichten hätte überzeugen wollen. Ich hätte wohl nicht beachtet, dass man fremde Erkenntnisse nur glauben kann.

Naja, zum Glück lebe ich ja nicht hoch reflektiert… Glaub ich.

Afghalingrad

Schaue grade die Wiederholung der Diskussionsrunde Maybritt Illner vom Donnerstag. Bitter finde ich ein Statement eines Soldaten, der als Außenstehender der Runde zwischenzeitig kurz und knackig befragt wurde. Auf die Frage, ob er Oberst Klein und den Luftangriff auf die Tanklaster unterstütze, antwortete er, dass die Soldaten vor Ort der Ansicht seien, dass es gut sei, dass endlich jemand mal etwas getan habe. Die Opferzahlen der Zivilisten seien zwar bedauerlich, aber in Anbetracht der Tatsache, dass dabei auch viele hochrangige Taliban getötet worden seien, gehe der Angriff in Ordnung. Schließlich befände man sich im Krieg und im Krieg gebe es weltweit gesehen viele unschuldige Opfer.

Ich finde die Substanz dieser Aussage, die sicherlich nicht einsam in der deutschen Öffentlichkeit zu finden wäre, wenngleich ich diese Meinung nicht allen Soldaten damit unterstelle, sehr bedenklich. Daraus folgen nämlich mehrere Punkte:
1. Deutschland befindet sich im Rahmen der NATO in Afghanistan im Krieg gegen das ehemalige Regime Afghanistans (Taliban). (Auch wenn man nicht wirklich von Regime reden kann, weil die Macht wohl nicht wirklich zentral exisiterte. Vielleicht wäre treffender an eine die Bevölkerung unterdrückende Bewegung zu denken.)
2. Das Ziel dieses Krieges ist die Vernichtung der Anhänger dieses ehemaligen Regimes – auch unter der Inkaufnahme unschuldiger Opfer.
3. Das Ziel dieses Krieges ist nicht die Stärkung des zivilen Aufbaus eines entwicklungsbedürftigen Landes.

Daraus folgt entweder, dass der deutsche Souverän einen falschen Auftrag an die Bundeswehr gegeben hat, oder, dass die Bundeswehr ihr eigentliches Mandat nicht erfüllt, nicht erfüllen kann. Selbst wenn auch noch Guttenberg zurücktreten würde, wäre damit immer noch nicht geklärt, mit welchen Zielen sich Deutschland in Afghanistan am Kriegseinsatz beteiligt. Ich denke, das ist der Kern der ganzen Diskussion.

Persönlich weiß ich nicht, wie ich dazu stehe. Schließlich kann man es sich so oder so zu einfach machen. So übrigens auch:

Lieber Herr Möller, kamen Sie sich ale „Gladiator“ nicht manchmal komisch vor in Kabul. Ein Filmheld unter lauter echten Helden?

ich war froh mal unter echten helden zu sein, denn was die soldaten dort unten leisten und unter welchem einsatz , nähmlich unter dem einsatz ihres lebens kann man nur würdigen. was ich den soladten mitgeteilt habe, und was ich ihnen gegeben habe, waren fitnessgeräte

Dann lieber ehrlich.

PS: Meine Hauptschüler sagen immer: „Wer ’nämlich‘ mit ‚h‘ schreibt, ist dämlich.“

Mehr Bildung!

Wie hier zu lesen ist, war die Vollversammlung der Studierenden der Uni Gießen diese Woche noch besser besucht als letzte Woche. Ich bin ja ein bisschen von den Protesten beeindruckt, im Wesentlichen aus zwei Gründen:

Zu AStA-Zeiten haben wir immer über die „Mobilisierung“ von Studierenden nachgedacht – und waren immer mal wieder ein wenig enttäuscht, weil sich so Wenige für die Hochschulpolitik zu interessieren schienen. Mit diesen Protesten hat der AStA meines Wissens nichts zu tun, die Vollversammlungen wurden jedenfalls nicht von ihm ausgerufen. Das bedeutet, dass die Studierenden die Dinge jetzt sehr viel ernster zu nehmen scheinen und Politik selbst machen wollen.

Außerdem könnte man meinen, dass das Thema Studiengebühren viel mehr Studierende bewegen könnte als so etwas Abstraktes wie „Freie Bildung„. Trotzdem wird aus der „Gießener Erklärung“ gerade deutlich, dass die Ziele sehr inhaltlich und sehr konkret in genau diese Richtung zu gehen scheinen – und das, obwohl Studiengebühren in Hessen abgeschafft und nicht wieder eingeführt wurden.

Ich denke, wenn die Verschulung der Universität so viel Protest hervorrufen kann, (was ich noch vor einem Jahr nie geglaubt hätte,) dann kann es die Verschulung der Schule doch eigentlich auch! Ich will damit sagen, dass der Bildungsprotest, der jetzt stattfindet, die Chance nutzen muss und weiter zu denken hat, als nur bis zur Hochschule. Dazu ist meines Erachtens der entscheidende Punkt, den Bildungsbegriff in jeder Debatte klar zu definieren – und sich eben nicht mit der Bedeutung in der öffentlichen politischen Debatte zufrieden geben, in der oft nur sehr platt mehr Geld für Bildung gefordert wird. Hier wird Bildung zu sehr als „Wissensaneignung“ definiert, wie sich aber Bildung von Wissen abgrenzt, ist im AKBp-Flyer schon 2003 recht gut zusammengefasst. Wer also mehr Geld für Bildung fordert, sollte unbedingt klarmachen, was er unter Bildung versteht. Erst aus diesem Begriff kann dann das entsprechende Menschenbild deutlich werden, das ja Grundlage und Maßstab einer Debatte um Bildungsfinanzierung sein muss.

Ein Nachgedanke:
Im Wort „Bildung“ steckt der Prozess als Ergebnis.

Krasser Führungsstil

Die FR macht dieser Tage anhand mehrer Artikel deutlich, welch krasses Demokratieverständnis so manche Hessische Behörde hat (zum Begriff ‚Behörde‘: siehe Lexikoneintrag). Aufgeregt habe ich mich, als ich heute diesen Artikel gelesen habe, der beschreibt, wie Marco Kraus Opfer von Verwaltungsmobbing wurde. Ich hab mir diesen Artikel übrigens sofort auf der eigenen Platte gespeichert, vielleicht kann man das mal im Unterricht einsetzen, wenn es ums Thema Mobbing geht, man aber nicht sofort einen direkten Bezug zum Schulalltag herstellen will.

Vom anderen Fall war ich dann irgendwie etwas persönlicher betroffen, ohne dass ich mich so sehr emotional drüber aufregen würde: Nach Schwarzgeldern, schwarzen Konten jetzt eine Schwarze Liste – diesmal betriffts die Lehrer. In der Jungen Welt erfahren wir auch das entscheidende Problem von der GEW: „Es ist völlig unklar, wer mit welcher Begründung welche Personen auf diese Liste setzt.“
Ich war ja Freitag auf dem 2. Hessischen Demokratietag, dort war ich in einem Workshop, in dem es um einen offenen Austausch über Qualität an Schulen ging. Ich hab dann irgendwann gegen Ende mal was gesagt, nämlich dass ich es bemerkenswert fände, dass wir in der ganzen Diskussion um Qualität eigentlich bislang nur darüber geredet hätten, was sich verändern müsse und das sei ja sehr bezeichnend für den Zustand der Schule. Außerdem wies ich darauf hin, dass echte Veränderung in einem Prozess von den Schulen selbst vorgenommen werden müsse, alle von „oben“ vorgegebene und im Ergebnis festgelegte Veränderung sei der Sache nicht dienlich. Im anschließenden Beitrag widersprach mir eine Dame sehr energisch und vertrat in etwa die gegenteilige Position, was mich zunächst ob der Heftigkeit etwas verblüffte. Als ich sie jedoch später in einer Pause, in der wir die Möglichkeit hatten, Infomaterialien verschiedener Organisationen einzusehen, hinter dem Stand des Hessischen Kultusministeriums sah, ergab das Ganze dann einen Sinn. Zu doof nur, dass wir auf der Veranstaltung alle mit Namensschildchen rumliefen…

Nachtrag:
Mir fiel gerade ein, dass ich vielleicht eh schon vorher auf der Liste gestanden haben könnte, weil ich mal zu AStA-Zeiten ne Pressemitteilung namentlich unterstützt hab, die dem damaligen Minister für Wissenschaft und Kunst, Udo Corts, nahegelegt hat, wegen seines wenig ausgeprägten demokratischen Verständnisses zurückzutreten (weiß nicht mehr, was der genaue Anlass war). Jedenfalls finde ich die PM nicht mehr, der AStA der Uni Gießen hat sein Internet-Archiv jetzt dem schicken Corporate Design geopfert…

Entweder–Oder

ENTWEDER
Und was ist das Leben anderes als Wahnsinn, und der Glaube anderes als Torheit, und die Hoffnung anderes als Galgenfrist, und Liebe anderes als Essig in der Wunde … Stehet auf, liebe Mit-Verstorbene! Die Nacht ist vorüber, der Tag beginnt wieder seine unermüdete Tätigkeit, niemals, wie es scheint, überdrüssig, immer und ewig sich selbst zu wiederholen.

ODER
So ist also dies, daß wir gegen Gott immer unrecht haben, ein erbaulicher Gedanke; es ist erbaulich, daß wir unrecht haben, erbaulich, daß wir es immer haben. Er erweist seine erbauende Kraft auf zwiefache Weise, teils dadurch, daß er dem Zweifel einhalt tut und den Kummer des Zweifels besänftigt, teils dadurch, daß er zum Handeln ermutigt.

Søren Kierkegaard

Prokrastination

In letzter Zeit mach ich mir gelegentlich Gedanken zum Thema Prokrastination, um unliebsame Aufgaben nicht sofort erledigen zu müssen. Mir kam dabei der Gedanke, dass diese dunkle Macht, die sich schon in alten Sprichwörtern verbarg, durch die Möglichkeiten durch das Netz im Umgang mit Wissen sich erst so richtig entfalten kann. Wenn ich bspw. sehe, wie viele Schüler sich informieren, sei es, weil es eine Hausaufgabe war oder weil wir über einige Stunden projektartig zu einem Thema arbeiten, dann fällt auf: Viele drucken sich z.B. Wikipedia-Artikel aus, in denen die gewünschten Informationen drin stehen. Das Wissen, die benötigten Informationen sind also schwarz auf weiß vorhanden. Viele verstehen einfach nicht, dass es die wesentliche Aufgabe ist, sich die Informationen selbst anzueignen und sie nicht nur zur Hand zu haben – oder sie verstehen es sehr wohl und das Aufschieben findet statt, weil es vielleicht mit Unannehmlichkeiten verbunden ist, den Text zu lesen und die benötigten Informationen rauszuschreiben. Sprich: Die Faulheit steigt mit den Möglichkeiten.

Jetzt wäre es nicht nur unfair sondern würde auch zu einem falschen Bild führen, wenn ich bei den „faulen Schülern“ stehen bleiben würde: Ich kämpfe ja tagtäglich selbst gegen die verschiedensten Aufschiebestrategien. Unterrichtsvorbereitungen mal eben schnell aus dem Netz gezogen (wobei das auch gar nicht unbedingt schneller geht), anstatt sich selbst Gedanken für die Stunde zu machen, gehört da genauso dazu, wie Blog-Artikel zu schreiben, wenn man eigentlich Wichtigeres zu tun hätte… – Apropos: Ich führe die Gedanken vielleicht an anderer Stelle mal fort…

PS: Wer weiß, wie viele wichtige Gedanken, Ideen und Projekte in Prokrastination geboren sind.

3 Parteien

Heute war ich mit einem Freund in Gießen in der Fußgängerzone, um Kaffee zu trinken. Spontan entschlossen wir, die dort anwesenden Parteistände zu befragen, warum wir deren Partei wählen sollten. Als erstes gingen wir zu den Grünen, denen wir beide zunächst am ehesten zugetan waren. Die Frau, die dort Windmühlen bastelte, enttäuschte uns allerdings, als sie uns sagte, dass sie gegen diese „Atomdings“ seien. Ich fragte dann nach, wie die Grünen sich zum Thema Bildung verhalten würden und als nur ein „Ähmm“ und dergleichen kam und ich meine Frage konkretisierte, ob denn Bildung Länder- oder Budesssache sein solle, fragte die windmühlenbastelnde Frau den langbärtigen Mann, was denn der Tom dazu gesagt habe. Thomas, damit war der Spitzenkandidat der Grünen gemeint. Der fand, das sei Bundessache, meinte der Bärtige, woraufhin die Windmühlenbastelnde meinte, das sei Bundessache. Daraufhin gingen wir etwas resigniert zum Stand der SPD, wo wir einen alten, guten Bekannten aus AStA-Zeiten trafen. Der erzählte uns ziemlich viel Ehrliches über seine Sicht auf die Wahl und die Chancen der Vorhaben der SPD. Das Gespräch war länger und gut. Nach kurzem Zwischenstopp auf dem Gästeklo von Horten stießen wir auf den Stand der Piratenpartei. Dort fragte ich mich durch einige komplexere Themen durch. Als Fazit kam dabei heraus: Der Mann von der Piratenpartei sieht zwar die Gefahr, dass kleinere Verlage unter der „OpenAccess“-Forderung der Piraten leiden würden, aber dieser Umstand mehr oder weniger dem Strukturwandel geschuldet sei, der mit der Entwicklung des Internets einhergehe. Außerdem sei es doch gar nicht so schlimm, ein Interview für die Junge Freiheit zu geben. …

Nach diesem Tag bin ich unentschlossener als zuvor, wen ich wählen soll. FDP und CDU/CSU kommen von vornherein nicht in Frage. (Obwohl ein Repräsentant bei der FDP eher visuell sich als LINKE-Kandiadat präsentierte, sind beide Parteien inhaltlich tabu.) Piraten haben sich durch ihre Aussagelosigkeit zu manchen Bereichen disqualifiziert, bleibt also nur noch die windmühlenbastelnde Grüne oder der ehrliche Sozialdemokrat… Wobei die Sozialdemokratie sich selbst nicht wählen mag.

So schwer ist mir noch keine Wahlentscheidung gefallen.

Ein beunruhigendes Video

Zuerst der Hinweis, später vielleicht mehr.

UPDATE:
Auf Spiegel ist jetzt noch ein Artikel dazu erschienen, in dem auch die verschiedenen Quellen ganz gut aufgelistet sind.

Ich  war ja schon das ein oder andere Mal auf verschiedenen Demonstrationen in Gießen, Mannheim, Frankfurt und einmal auch in Wiesbaden. Dort war damals die Dingfestmachung der Studiengebühren im hessischen Landtag (=3. Lesung), wo ein Freund und ich es tatsächlich geschafft hatten, unter Personenschutz durch die Polizei innerhalb der Bannmeile einen Kaffee bei Starbucks zu trinken – während eine mittelgroße Gruppe von Studierenden um die Bannmeile herum demonstrieren ging. Als der Demo-Zug sich näherte, bekamen es die Polizisten ein bisschen mit der Angst zu tun, die Horde würde zu uns stoßen wollen, sodass wir angehalten wurden, den Kaffee schneller zu trinken…

Naja, noch ne halbe Stunde vorher, als der Demotrupp noch an einem Eingang zur Bannmeile Krawall gespielt hat (sie waren nur laut und haben irgendwelche Sachen gerufen und ein bisschen am Metallzaun gerüttelt), waren hinter der Eisengitter-Absperrung einige Polizisten postiert, sowohl zur Abschreckung aber auch bereit für den Ernstfall, wie auch immer der ausgesehen hätte. Dabei war ein Hund mit seinem Führer, beide gingen hinter der in einer Reihe am Zaun postierten Beamten entlang, als der Hund auf einmal austickte und eine Polizistin ansprang und biss – ich glaube, zum Glück nur in die schwere Uniform, zumindest war es eher Schrecken und weniger Schmerz, der im Gesicht der Frau zu lesen waren. Jedenfalls ist der Hund einfach so ausgetickt, war wohl mit der Lautstärke zu stressig, was ich ja verstehen kann.
Was ich nicht verstehe ist, warum die Polizei Hunde mit auf Demos nimmt, auch wenn es ausgebildete Hunde sind.
Ein weiteres Beispiel war in Gießen, als der Demonstrationszug tendenziös Richtung Autobahn marschierte. Eine Hundertschaft riegelte die entscheidende Kreuzung mittels einer spontanen Beamen-Kette ab. Ein Hundeführer ging mit seinem Hund quer zur Reihe. Er hat den Hund ganz klar zur Abschreckung vor der Absperrung „spazieren geführt“, ein Demonstrationsteilnehmer wäre dabei beinahe gebissen worden, weil der Führer den Hund nur schwer unter Kontrolle halten konnte.
Beide Situationen waren vermeidbar, die letzte unverantwortlich. Gerade in solch hitzigen Momenten wie Massenaufläufen ist es wichtig, die Kontrolle über sein Verhalten zu bewahren.

Der ins Gesicht schlagende Polizist hatte die Kontrolle offenbar nicht. Sein Verhalten hat mich stark an das eines Hundes erinnert, dem der ganze Krach und die vielen Menschen einfach zu viel werden und austickt. Jetzt suggeriert der Spiegel-Artikel, der Demoteilnehmer sei zusammengeschlagen worden, weil sich einzelne Polizisten von einer möglichen Anzeige bedroht gefühlt hätten. Das würde bedeuten, dass die sich den Typen aus Berechnung geschnappt hätten. Ich glaube aber, da ist einfach jemand ausgetickt, weil es ihm zu viel wurde, weil der Typ den Anweisungen nicht genau Folge geleistet hat oder warum auch immer. Zum Glück waren die Demonstranten dort scheinbar nicht gewaltbereit, sonst wäre das womöglich böse ausgegangen.

PS: Ich bin ja mal gespannt, wie viele Leute die Piraten am 27.09. wählen…

Entschlossene Langsamkeit

Hab eben beobachten können, wie eine Schwanenfamilie die Straße überquert (übrigens um zum Schwanenteich zu gelangen). Die Überquerung hat etwa drei Minuten gedauert und die heranrasenden Autofahrer mussten anhalten und warten. Die Schwäne sind so langsam über die Straße gewatschelt, als wollten sie die Autos provozieren.
Ich musste dabei an Die Entdeckung der Langsamkeit denken, in der die Kunstfigur eines John Franklins genau so beschrieben wird, während er über Deck geht. Weil er langsam ist in allem, kriegen die anderen auf dem Schiff eben sehr schnell raus, dass sie ihm ausweichen müssen.
Der wichtige Gedanke dabei ist, dass das Entscheidende nicht die Geschwindigkeit ist, mit der man etwas tut, sondern die Entschlossenheit…

Automat

War gerade noch mal im Freibad schwimmen, um es zum letzten Mal diese Saison im Freien zu genießen. Da ich meine ermäßigte „Karte“ – in Wahrheit handelt es sich um einen RFID-Chip, der in einem 5-Mark-Stück-großen, roten, runden Plastikchip sitzt – beim letzten Mal verbraucht hatte und dieser der Automat automatisch eingezogen hatte, wollte ich mir heute einen neuen ermäßigten Chip kaufen. Übrigens ist es nicht möglich, einzelne Ermäßigungen zu bekommen,  man muss immer mindestens fünf auf einmal bezahlen (=6,40€). Dass das Schwimmbad zwei Tage später zumacht, war mir egal, kann ich ja noch nächste Saison benutzen, dachte ich. Tja, das dachte ich, während ich vor dem unbesetzten Kassenhäuschen stand… – nachdem ich ne Weile dachte, dass auch Kassierer aufs Klo müssen, betätigte ich die Klingel für die Fernsprechanlage und schilderte der fragenden Stimme, das Kassenhäuschen sei nicht besetzt. Die wieß mich dann auf den Bezahlautomaten hin, den ich bis dahin tatsächlich übersehen hatte. Auf meine bedankende Schlussbemerkung, dass ich ja ermäßigten Eintritt bekäme, offenbarte mir der Lautsprecher, dass dies am Automaten nicht möglich sei (was ich insofern verstehe, als dass ich ihm zwar meinen Ausweis vor den Bildschirm halten könnte, ich aber andererseits froh bin, dass noch keine intelligenten Scanner für sowas im Einsatz sind). Ermäßigte Karten könne man nur kaufen, wenn die Kasse besetzt sei. Auf meinen Hinweis, laut Beschilderung sei ich zu einer Uhrzeit an der Kasse, an der sie besetzt sein sollte, wurde ich darauf hingewiesen, dass wegen fünf Badegästen die Kasse nicht besetzt werde. Prinzipiell fand ich das ja verständlich – wenn damit nicht ausgeschlossen worden wäre, dass ich weder ermäßigten Eintritt bekäme, noch den Euro für den Spint mir hätte wechseln können, noch das 20-Cent-Stück, welches für die warmen Duschen benötigt wird… Also fing ich kurz an zu disktuieren, nachdem sich das Gespräch aber – ähnlich wie mit Wachtmeistern – im Kreis drehte, ließ ich dem Lautsprecher gegenüber die Bemerkung fallen, dass Diskutieren offensichtlich nichts bringe, ich das alles dämlich fände und bedankte mich höflich (wohl nur höflich und weniger ehrlich) und steckte die 2,40€ in den Automaten und die durch Wut und Unverständnis aufgeladene Energie in die folgenden 2200m…

Abgesehen davon, dass ich mich in dieser kurzen Erzählung in einer Welt voll Grausamkeit als den Entrechteten schlechthin darstellen möchte, gehts mir um Folgendes: Ich finde es krass, dass sich eine Entwicklung bestätigt, möglichst viel zu automatisieren. Eine Folge, die ich heute selbst gespürt habe, ist, dass eine ehemals selbstverständlich von einem Menschen besetzte Kasse nur noch als kulanter Zusatz-Service zum Automat verstanden wird. Wer dann irgendwelche Bedürfnisse hat, die nicht ins automatisierte Schema passen, hat gelitten, bzw. hat zu leiden. Ähnliches Prinzip befürchtet sich beim mittlerweile automatisierten Rückmeldesystem an der Uni Gießen zu entwickeln, wo man mittlerweile im Idealfall nur noch was mit Scannern und Druckern zu tun hat, um die benötigten Unterlagen zu bekommen.

Den Bogen weiter gespannt sei noch zum Schluss der Hinweis gestattet, dass man nicht automatisch Maschinen benötigt, um Automaten herzustellen. Bestes Beispiel ist die Umsetzung der Modularisierung von Bildung, die zuweilen dazu führt, dass sich eine Logik automatisiert, die nichts mehr mit Realität zu tun hat oder vielmehr: eine Logik, die sich eine eigene Realität schafft. Hab ich heut morgen wieder gedacht, als ich mitbekommen habe, mit welchen Problemen sich einige meiner Hauptschüler rumschlagen (wörtlichst). Das Ausbildungsmodul Erziehen, Beraten, Betreuen kann jedenfalls trotz schicken Titels mir nicht mehr Ratschläge geben, als: Machense doch mal Gruppenarbeiten im Unterricht… (Achtung: Zynische Polemik!) Es tut aber so, als könne man nach dem Besuch erziehen, beraten und betreuen. Probleme, die über den Zuständigkeitsbereich eines Moduls hinausgehen, haben ja rein technisch betrachtet dort jeweils keinen Platz. Zum Glück sitzen aber manchmal Menschen in den Modulen, die nicht nur Routine automatisch abspulen…

Das Internet-Manifest

Endlich mal jemand, der nichts zum Internet-Manifest zu sagen hat… – Naja, fast nichts, zumindest, liegt aber wohl nur an der ‚17‚.

Ich hingegen finde, dass das alles arg schwammig ist und damit keine Forderungen oder wirklich neuen Sichtweisen verbunden sind. Merkwürdig finde ich folgenden Punkt:

Links sind Verbindungen. Wir kennen uns durch Links. Wer sie nicht nutzt, schließt sich aus dem gesellschaftlichen Diskurs aus. Das gilt auch für die Online-Auftritte klassischer Medienhäuser.

Mein Problem damit ist, dass da irgendwie drin steckt, dass Öffentlichkeit sich in Zukunft nur noch aufs Netz beschränken wird. Und das will ich nicht.

Zur Afghanistan-Diskussion

Ihr sagt zwar Menschlichkeit, meint aber Macht. Denn ihr greift nicht zufällig da ein, wo’s euch machtpolitisch behagt. In einigen Teilen der Welt sind euch Menschenrechtsverletzungen egal, an wirtschaftlich oder strategisch bedeutsamen Stellen seid ihr auf einmal dabei.

Ich denke, dieser Ausschnitt aus einem Interview mit Christoph Kampmann in der FR ist der entscheidende Punkt für eine Diskussion, ob der Afghanistan-Krieg richtig ist oder notwendig – erst recht nach dem zweifelhaften Bombardement zur Verhinderung eines Anschlags. (Interessanterweise ist hier in manchem journalistischen Beitrag derzeit das Interesse an der unheitlichen Bewertung des Vorgangs innerhalb der NATO größer als an der Frage nach dem richtigen Handeln.) Die weiterführende Frage lautet: Ist die Tatsache, dass an vielen anderen Stellen der Welt weggeschaut wird und in Afghanistan nur zweitrangig humanitäre Beweggründe eine Rolle spielen, ein Argument, Afghanistan sich selbst zu überlassen? (Erst danach sollte man sich übrigens mit der Frage beschäftigen, ob der Krieg überhaupt noch zu gewinnen ist.)

Entschuldigung ohne Reue

Zwei Gedanken zu Rüttgers Aussagen über die faulen Rumänen, die, weil sie zu spät zur Arbeit kämen, schlechtere Handys produzieren würden, und die irgendwie auch doofen Chinesen. Auslöser ist der Ausspruch von Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Armin Laschet auf FR-Online, der Rüttgers wie folgt verteidigt:

„Ich finde die Reaktionen völlig überzogen“, sagte Laschet am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“. Rüttgers Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vorzuwerfen, sei „geradezu absurd“. „Deshalb sollte man die Tassen im Schrank lassen“ und Rüttgers‘ Entschuldigung annehmen, forderte Laschet. Im Engagement für den früheren Nokia-Standort Bochum sei ihm „diese Formulierung durchgegangen“.

Zum einen hat Rüttgers sich nicht entschuldigt: „Ich wollte niemanden beleidigen, wenn das doch geschehen ist, tut mir das leid.“ Die Formulierung nimmt sein eigenes Handeln aus der Verantwortung, eine echte Entschuldigung würde sich nämlich z.B. so anhören: „Es tut mir leid, dass ich jemanden beleidigt habe.“ Zu einer Entschuldigung gehört die Einsicht, einen Fehler begangen zu haben, kurz: Reue. Die kann ich aus dem Wortlaut nicht lesen.

Zum anderen bedeutet Laschets Aussage, die Formulierung sei mit Rüttgers durchgegangen, dass Rüttgers inhaltlich recht habe. Die Gedanken, die dahinter stehen und also nach wie vor in Rüttgers Kopf Raum haben, die er nur kurzzeitig formulierungstechnisch nicht im Zaum hatte, sind doch das eigentliche Problem. Das wirklich Bittere an der Sache ist, dass er Ministerpräsident eines ziemlich großen Bundeslandes ist und da finde ich es schon krass, dass so eine Weltanschauung sich in so einer mächtige Position befinden kann…

Jetzt kann man mir natürlich vorhalten, ich sei, weil ich als Deutschlehrer von Formulierungsangelegenheiten sowieso besessen sei, da sehr verbissen an ein paar unbedeutende Wörter und Phrasen rangegangen. Man muss sich dabei allerdings im Klaren sein, dass Rüttgers seine ‚Völkerkunde‘ nicht nur einmal offenbart hat und Politiker seines Schlages vermutlich die Hälfte ihres Lebens in Rhetorik-Seminaren verbracht haben, um eigene Überzeugungen in Formulierungen zu verpacken, die niemand mehr wirklich versteht.

PS: Man muss doch mal die Tassen im Schrank lassen wird wohl zu meinem persönlichen Sprichwort-Favoriten…

Richtlinie und Verantwortung

Je länger ich in der Schule bin, desto stärker festigt sich der Gedanke, dass allzu strikte Regeln und Verhaltensmaßgaben Menschen zur Verantwortungslosigkeit erziehen. Aktueller Auslöser zu diesem Gedanken war die Neuregelung der ‚Verkehrsführung‘ einer Unterführung, die sowohl Fußgänger als auch Radfahrer nutzen. Seit kurzer Zeit ist diese breite Unterführung, die bergab und um die Kurve führt, in einen schmalen Teil für Fußgänger und einen breiteren für Radfahrer mit entsprechenden Symbolen und Linie auf dem Boden markiert. Das mag in dem ein oder anderen Fall auch sinnvoll sein, weil so wahrscheinlicher Zusammenstöße zwischen Kinderwagen und Radfahrern vermieden werden könnten. Allerdings kam mir, als ich eben mit einem Freund dort spazieren ging, der Gedanke, dass die Markierung langfristig den genau gegenteiligen Effekt haben könnte: Statt vorsichtig um die Kurve zu fahren, weil ja auch Fußgänger die Unterführung nutzen könnten, würde sich ein Radfahrer wohl recht schnell auf die markierten Verkehrsregeln verlassen und so die Verantwortung für sein Handeln dieser Wegstruktur übertragen. Ob nun ein oder mehrere Fußgänger sich hinter der Kurve befinden, wird dann irrelevant und führt vielleicht dazu, unvorsichtiger zu fahren…

Nach ähnlichem Prinzip verhält es sich auch mit anderen Richtlinien, die bspw. das Zusammenleben ordnen. Unter dem Diktat der Regel, ohne dass ein Bewusstsein vorhanden wäre, warum diese Sinn macht, gibt man die Verantwortung schnell ab, weil man sich ja so verhält, wie es von einem verlangt wird. Passen Regel und Situation allerdings nicht zusammen, wäre es angebracht, in eigener Verantwortung sinnvoll zu handeln. Und in der Schule erlebe ich es eben oft, dass Lehrer mit Schülern vor allen Dingen formale Kämpfe statt inhaltlichen führen, also aus Prinzip auf dem Einhalten von Regeln beharren. Und das wird eben dann problematisch, wenn es nicht möglich ist, bewusst zu machen, warum diese durchzusetzenden Verhaltensregeln sinnvoll sind. Verantwortungsvoll scheint also erst der zu handeln, der sich inhaltlich begründet sinnvoll über Regeln hinwegsetzt:

[…] es muss Normen geben, die zu einer Abweichung von einem Sollen führen können. (wikipedia)

Dies soll nun nicht zu Anarchie und Abschaffung von Regeln aufrufen. Stattdessen sollte sich folgendes Bewusstsein in den Köpfen festsetzen: Regeln sind dazu da, um zu lernen, wann man sie brechen muss. Anarchie führt zur Beliebigkeit und somit zur Bedeutungslosigkeit des eigenen Handelns. Aber Regeln zu brechen, wenn es inhaltlich begründet ist, stärkt die Erziehung zu verantwortlichem Handeln und Denken. Mit diesem Bewusstsein lässt sich so mancher Situation weniger verbissen entgegentreten…

Demokratie

Während ich gerade Hart aber Fair schaue mit Lafontaine, Gabriel, Künast, Westerwelle und Koch (von links nach rechts), kommt mir so der Gedanke, dass sich in den nächsten, sagen wir zehn Jahren eine Entwicklung auftun könnte, die den bisschen demokratischen Prinzipien in Deutschland schaden könnte: Ich glaube, dass die Menschen in Deutschland sich in der parlamentarischen Demokratie immer weniger wiederfinden werden. Die einzigen, die derzeit wissen, welche Partei sie wählen werden, sind die auf Seiten des „bürgerlichen Lagers“ (was ein hässlicher Begriff, schließlich kann jeder Bürger wählen und nicht nur diejenigen sind Bürger, die FDP oder CDU/CSU wählen). Wenn sich dieser Koalition in der nächsten Legislatur durchsetzt und ihre Wahlprogramme weitestgehend umsetzen werden, wird sich das, was sich momentan schon an Protestpotenzial in Parteien wie der Linken wiederfindet, noch stärker ausbilden, ohne allerdings von Parteien wirklich eingebunden werden zu können. Sprich: Bei einer schwarz-gelben Koalition wird sich der Protest (=gesellschaftliche Spaltung) radikalisieren. Und was dann bei der nächsten Bundestagswahl bei rauskommt, möchte ich nicht mutmaßen.

PS: Ich bin ja gespannt, wie stark die Piraten-Partei wird, die dort, wo sie inhaltlich wird, interessante Ansätze verfolgt. Vielleicht hat sie gerade wegen ihrer Aussagelosigkeit zu vielen gesellschaftlichen Themen (Wirtschaft, Arbeit, Umwelt…) eine große Chance, die Volkspartei der Zukunft zu werden…

Schwimmen

Ich war eben schwimmen. Ich erinnere mich noch, dass eine Freundin mal gesagt hat, sie könne besonders gut nachdenken beim Schwimmen. Ich habe festgestellt, dass ich während des Sports überhaupt nicht an Dinge denke, die nicht mit Schwimmen zu tun haben. Ich konzentriere mich voll auf das Wassergefühl, die Geräusche von Schwimmbewegung und vom Atmen, darauf, dass ich nicht zu früh Luft hole, wenn ich den Kopf zur Seite aus dem Wasser drehe… manchmal vergesse ich sogar dadurch die Anzahl der geschwommenen Bahnen. Anders gesagt: Schwimmen gehört zu den Zeiten, in denen endlich mal alles, was ich tue, einen in sich geschlossenen Sinn hat, wo ich mein Handeln endlich mal nicht mehr in Frage stellen muss. Warum sollte ich diese kostbaren Momente mit fremden Gedanken stören?

Bach, Mendelssohn-Bartholdy und ABBA

Heute habe ich Dank eines Hinweises eines Freundes an einer musikalischen Orgel-Radtour teilgenommen. Gestartet hat das Ganze in der Kirche am Kirchberg in der Nähe von Lollar. Dort spielte der Busecker Dekanatskantor verschiedenste Stücke, die meisten haben mir ganz gut gefallen. Ich hab Orgelmusik auch schon immer irgendwie faszinierend gefunden, nicht erst seit „In the Garden of Eden„, auch schon früher in Wissenbach, wo wir – wenn ichs nicht total verpeile – eine pneumatische Orgel haben, was zu den sonst üblichen mechanischen eher selten ist. Jedenfalls spielte der Dekanatskantor zunächst Bach, dann Pachelbel, später auch was von Wagner. Als dann nach geschätzten 20 Minuten ein Notenbuch auf die Notenhalterung der Orgel gelegt wurde, auf dem in großen goldenen Buchstaben das Wort „ABBA“ zu lesen war, war ich zunächst verwundert, später dann ziemlich angetan von dem durch Wäscheklammern im Buch markierten „Medley“. Zwar mag ich ABBA-Musik nicht unbedingt allzusehr, allerdings war da so ein kurzes Gefühl, dass in dieses heilige Gebäude ein bisschen mehr Wahrheit reingelassen wurde…

Wir fuhren dann per Rad nach Mainzlar in eine sehr kleine Kirche, in der neben älteren Orgelstücken – darunter Ach wie flüchtig, ach wie nichtig von Georg Böhm, was mit seinem vorreformatorischen Gesangs-Intermezzo schon einem ein Gefühl dafür hat geben können, wie man sich fühlt, wenn man überall nur vom Fegefeuer hört – zum Ende auch ein Akkordeon zum Solo-Einsatz kam. Ziemlich beeindruckend, was aus so einem Ding rauszuholen ist. Vom Klang natürlich nicht so kraftvoll wie eine Orgel, aber tänzerischer … Tanzende Orgel wäre vielleicht ein gut beschreibender Begriff. Jedenfalls waren sowohl die klassisch europäische Musik als auch der argentinische Tango hörenswert.

Wir fuhren dann nach Treis. Dort hörten wir wieder diverse Adaptionen wie bspw. von „In dir ist Freude“ oder „Danke für diesen guten Morgen“, welches als „Eine kleine Dankmusik“ mit Mozart-Klängen vermischt wurde. Ganz ok eigentlich, bis auf das ausgelutschte „Danke für diesen guten Morgen“-Thema halt… Danach gabs dann im Gemeindehaus Kaffee und Kuchen, dann gings zurück.

Auf der Rückfahrt hab ichs dann auch tatsächlich geschafft, mit meinem Mountainbike samt Clickpedalschuhen an einer Straße mitten in den Fahrradpulk zu geraten und klinkte dann schnell links aus, weil links aber plötzlich alles voll war, musste ich mich nach rechts auf den Boden fallen lassen. Das Lachen des älteren Herrns mit dem motor-betriebenen Fahrrad, den ich zuvor am steilen Berg mit den Worten „Das ist aber gefuddelt!“ überholt hab, fand glaube ich nur in meinem Kopf statt… (So ein Motor-Fahrrad ist schon geil irgendwie – der ältere Herr fuhr so leichtfüßig in akzeptabler Geschwindigkeit bergauf, das sah einfach cool aus. Ich überlege derzeit, mir nen Motor an mein Hardtail zu installieren…) Aber die Leute waren glaube ich ehrlich besorgt. Zum Glück ist mein rechtes Knie aber eh schon kaputt, trotzdem ist Hinfallen mit dem teuersten, pardon: zweitteuersten, Fahrrad einfach uncool.

Nächste Woche ist wieder sowas, vielleicht hab ich ja noch mal Bock drauf. Die Orgel ist einfach die Königin der Instrumente.

Psychologie eines Klodiskurses

Am Donnerstag traf ich mich an der Uni mit Björn zum Schachspielen, als ich mal gemütlich ausführlich aufs Klo musste.  Als ich so „uffem Schacht“ saß, las ich mir den angeregt geführten Klodiskurs an der Tür durch, der in etwa davon handelte, dass ein vormaliger Besucher zunächst pauschal alle Studentinnen als Prostituierte bezeichnete, da sie sich für Scheine (und er erwähnte extra auch die Seminarscheine) den Professoren anbieten würden. Der nächste forderte auf, Namen zu nennen und nicht bloß bei unbestimmten Behauptungen also unglaubwürdig stehen zu bleiben, woraufhin der Eingangsschreiber seinen Vorwurf immerhin auf den Fachbereich 06 eingrenzte, wegen der räumlichen Nähe vermutlich nicht Sport sondern die Psychologie meinte. Da schaltete sich auf einmal ein weiterer Debattant ein mit dem Ausruf „Kann man denn hier nicht mal in Ruhe sch*****?!“ Die Antwort kam prompt in Form eines Adorno-Zitats (wie ich mich später von meinem Schachkollegen aufklären lassen musste, peinlich peinlich): „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.
Randbemerkung: Auch Adorno gehörte zu den Leuten, die lieber in etwas anderem groß geworden wären…

Jedenfalls wollte ich nun mein Kabinenbedürfnis zeitgleich mit dem Toilettentür-Diskurs beenden. Als ich gerade im Begriff war, mich des Diskurses zu entziehen, entdeckte ich an der linken Kabinenwand ein Wort, das mir nicht so recht in den Zusammenhang zu passen schien: „Snujer“. Da hatte doch jemand tatsächlich ein Wort hingeschrieben, dessen einzigen Sinn ich entringen konnte, indem ich es als meinen falschgeschriebenen Nachnahmen identifizierte. Verwirrt belustigt las ich mir den ganzen Satz durch … Was ich las, ließ mich die Augen zusammenkneifen (mit dem Schachten wars da übrigens schon längst vorüber): „All The Oles Are Fat, Including The Snujers.“ . Ich muss sagen, dass ich das Dasein dieses Satzes bis jetzt nicht ganz gerafft habe und es als eines der wenigen Mysterien in meinem Leben wohl existieren lassen muss.
Ich werde wahrscheinlich nie herausfinden, was jemanden dazu veranlasst hat, mich an der Kabinenwand in diesen sinnfreien Satz zu bannen. Meine einzige Vermutung besteht darin, dass der Satz, dessen Anfangsbuchstaben der Wörter nochmal extra aufgeführt waren, Teil eines Spielchens war, bei dem zufällig ausgewählten Buchstaben ein logisch richtiger Satz zugeordnet werden musste. Jetzt frage ich mich natürlich, seit wann der Satz schon da stand und ich ihn nicht bemerkt hatte… (Später am Abend bei unseren regelmäßig reaktivierten AKBp-Treffen kamen wir dann auf den Gedanken, dass ich vielleicht während des Studiums jahrelang gemobbt worden bin – es aber nie gemerkt habe…)

Kurz darauf beim weiteren Schachspielen wurden wir von zwei Psychologinnen angesprochen, ob wir nicht Lust hätten, an einem Experiment zur Untersuchung der Sprachwahrnehmung teilzunehmen, als Belohnung gäbe es einen Schokoriegel. Da ich billig zu haben war und Lust auf ein Snickers hatte, stimmte ich zu und ging mit einer der beiden zu einem Büro, während ich sie die ganze Zeit peinlichst auf Hinweise auf Prostitution hin untersuchte – ich konnte nichts dergleichen feststellen.
Im Büro angekommen musste ich mit Erschrecken feststellen, dass auf dem Tisch nur Duplo und Kinderriegel standen; wurde also nichts mit Snickers. Entsprechend unmotiviert begab ich mich an den ersten Test. Dort sollte ich zunächst Buchstaben nach meinen Vorlieben benoten. Also, wenn ich das „O“ besonders mochte (immerhin der Anfangsbuchstabe meines Vornamens), gab ich 9 Punkte, das langweilige „S“ bekam 5 und das komische „Y“ nur zwei Punkte. Das ganze lief am Computer ab in zufälliger Reihenfolge und ich durfte nicht Nachdenken, als ich die Buchstaben bewertete. Beim zweiten Test musste man möglichst schnell wirre Buchstabenkombinationen, also Fantasiewörter einteilen in jene, die mit einem Vokal begannen, und jene, die mit einem Konsonant anfingen, das Ganze möglichst schnell. Danach musste ich noch zwei Mal den ersten Test, also das Buchstabenranking, wiederholen. Zum Abschluss sollte ich dann noch einen kurzen Fragebogen ausfüllen, bei dem mir Fragen zu meinem derzeitigen Selbstwertgefühl gestellt wurden. Also, wie wichtig ist mir, was andere über mich denken; was denke ich, wie viel ich Wert bin und so weiter. Mein Selbstwertgeühl hing immer noch an dem Satz an der Kabinenwand, deshalb waren die Antworten nicht ganz so arrogant wie sonst. Nach dem Fragebogen war die Untersuchung dann auch schon fertig und ich durfte mir einen der beiden Schokoriegel für meine Mühen aussuchen (Stichwort: Prostitution im Fachbereich 06). Ich lehnte dankend ab.
Beim Rausgehen teilte die wissenschaftliche Mitarbeiterin mir dann wenig überraschend die Auflösung des Ganzen mit: „Jetzt kann ichs dir ja sagen, das Ganze hatte nichts mit Sprachgefühl zu tun. Es ging viel eher darum, zu untersuchen, ob es einen Zusammenhang zwischen der Vorliebe für den eigenen Anfangsbuchstaben und der Selbstwertschätzung gibt.“ (Ich glaube, der Begriff dazu wäre Implizite Selbstwertschätzung.) „Beim zweiten Test wurden dir kurze Impulse gezeigt, die du nicht bewusst hast wahrnehmen können, es ging da bei den Vokalen und Konsonanten nur um deine Afmerksamkeit. Die Unteruchungsmethode ist allerdings umstritten, aber anders kann man es ja auch nicht messen.“ Ich überlegte kurz, ob ich sagen sollte, dass ich das „O“ zwar außerordentlich gut bewertet hatte, meinen Selbstwert aber vor allem situativ bedingt eher etwas weit unten angesiedelt habe.
Mit einem schlechten Gewissen, hier gerade jemandem die Promotion versaut zu haben, verließ ich die Psychologie und wandte mich wieder dem Schachspielen zu. Das Spiel gewann ich natürlich und Snickers und Klospruch waren wieder kompensiert – in da Face, Björn! Ich bin der Tollste!

Als wesentliche Erkenntnis aus diesem psychologischen Diskurs nehme ich also mit: Die beste Waffe gegen Mobbing ist mangelnde Wahrnehmung, der Begriff „Schokoriegel“ ist je nach Giergrad unterschiedlich interpretierbar und Prostitution findet weniger durch die Psychologinnen selbst als vielmehr durch die Psychologie als Wissenschaftsdisziplin statt, indem sie versucht, Erkenntnisse durch pseudo-naturwissenschaftliche Messmethoden zu erzeugen und sich so möglichst billig an die Wahrheit zu verhökern (zum Glück ist die Wahrheit aber integer).

Ahmadinedschad

Ein geiles Bild … und umso ausdrucksstärker, wenn man den Rahmen miteinbezieht:
Am Freitag sind im Iran Präsidentschaftswahlen. Ob es da wirklich eng für Ahmadinedschad wird, weiß ich nicht, glaube ich zumindest nicht.
In diesem Zusammenhang ist aber vor allem Obamas Besuch von Buchenwald (mit einer beeindruckenden Rede von Eli Wiesel) sowie seiner (traditionellen) Teilnahme an den Feierlichkeiten zum D-Day zu sehen. Kurz zuvor in Kairo zur „islamischen Welt“ gesprochen und von mehr Welten beachtet, ist die Geschichte, die Identiät dieses Präsidenten das, was am deutlichsten gegen den Holocaust-Leugner* Ahmadinedschad steht.
Und Eli Wiesel formuliert am besten:

Erinnerung muss die Menschen zusammenbringen, statt sie zu trennen.

NACHTRAG zum Ausgang der Wahl („Ich habe Ahmadi gewählt, aber dieses Resultat kann einfach nicht stimmen„):

… Doch dann laufen die Menschen plötzlich auseinander: Die gefürchtete Revolutionsgarde fährt mit Motocross-Rädern in die Menge, rammt Menschen, die Männer treten um sich. Polizei zu Fuß knüppelt wahllos auf Unbewaffnete ein. Eine alte Frau wird von Uniformierten zu Boden geschlagen.


*Eine Fußnote: Was genau der Begriff „Holocaust-Leugner“ bedeutet, lässt sich am besten aus diesem Ausschnitt eines Spiegel-Interviews vom 11.04. 2009 herauslesen:

SPIEGEL: Sie sprechen von Israel, einem seit vielen Jahrzehnten weltweit anerkannten Uno-Mitgliedsstaat. Was machen Sie eigentlich, wenn eine Mehrheit der Palästinenser für eine Zweistaatenlösung votiert, also das Existenzrecht Israels anerkennt?

Ahmadinedschad: Sollten sie sich dafür entscheiden, müssen alle diese Entscheidung akzeptieren …

SPIEGEL: … dann müssten auch Sie Israel anerkennen. Einen Staat, den Sie laut früheren Aussagen „von der Landkarte löschen“ wollen. Sagen Sie uns doch, was Sie wirklich gesagt und wie Sie es gemeint haben.

Ahmadinedschad: Lassen Sie es mich scherzhaft so formulieren: Warum haben die Deutschen damals so viel Unruhe gestiftet, dass es überhaupt zu diesen Problemen gekommen ist? Das zionistische Regime ist das Ergebnis des Zweiten Weltkriegs. Was hat das alles mit dem palästinensischen Volk zu tun? Was mit der Region Nahost? Ich glaube, man muss das Problem an der Wurzel packen. Wenn man die Ursachen nicht berücksichtigt, gibt es auch keine Lösung.

SPIEGEL: Heißt „an der Wurzel packen“ Israel auslöschen?

Ahmadinedschad: Es bedeutet, die Rechte des palästinensischen Volkes einzufordern. Ich denke, das ist zum Vorteil aller, Amerikas, Europas und auch Deutschlands. Aber wollten wir nicht noch über Deutschland und die deutsch-iranischen Beziehungen sprechen?

SPIEGEL: Darüber sprechen wir doch schon. Dass Sie das Existenzrecht Israels leugnen, ist von entscheidender Bedeutung für die deutsch-iranischen Beziehungen.

Ahmadinedschad: Glauben Sie, dass das deutsche Volk auf der Seite des zionistischen Regimes steht? Glauben Sie, dass dazu eine Volksbefragung in Deutschland durchgeführt werden könnte? Falls Sie so ein Referendum zulassen, werden Sie feststellen, dass das deutsche Volk das zionistische Regime hasst.

SPIEGEL: Wir sind sicher, dass das nicht so ist.

Ahmadinedschad: Ich glaube nicht, dass die europäischen Länder die gleiche Nachsicht gezeigt hätten, wenn auch nur ein Hundertstel der Verbrechen, die das zionistische Regime in Gaza begangen hat, irgendwo in Europa passiert wären. Warum bloß unterstützen die europäischen Regierungen dieses Regime? Ich habe Ihnen das schon einmal zu erklären versucht …

SPIEGEL: … als wir vor drei Jahren über Ihre Leugnung des Holocaust gestritten haben. Wir haben Ihnen nach dem Gespräch einen Film von SPIEGEL TV über die Judenvernichtung im Dritten Reich geschickt. Haben Sie diese DVD über den Holocaust erhalten, haben Sie sich den Film angesehen?

Ahmadinedschad: Ja, ich habe die DVD erhalten. Aber ich wollte Ihnen darauf nicht antworten. Ich glaube, für das deutsche Volk ist der Streit um den Holocaust kein Thema. Das Problem liegt tiefer. Im Übrigen: Noch einmal vielen Dank, dass Sie gekommen sind. Sie sind Deutsche, wir schätzen die Deutschen sehr

Es geht dann auch noch interessant weiter:

SPIEGEL: Am 12. Juni ist in Iran Präsidentschaftswahl. Sie gelten als Favorit. Werden Sie gewinnen?

Ahmadinedschad: Warten wir’s ab, neun Wochen sind eine lange Zeit. In unserem Land gibt es keine Gewinner und damit auch keine wirklichen Verlierer.

SPIEGEL: Werden Sie im Falle Ihrer Wiederwahl der erste Präsident der Islamischen Republik Iran sein, der einem amerikanischen Präsidenten die Hand gibt?

Ahmadinedschad: Was meinen Sie?

SPIEGEL: Herr Präsident, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Die Westerwelle-Connection

Ich war gestern mit dem Fahrrad in der Stadt, um einige kleinere Dinge zu erledigen. Ich entschied mich, noch schnell bei Aldi etwas Waschmittel zu besorgen und wollte gerade vom Marktplatz auf den Kirchplatz einbiegen, als eine Veranstaltung mit etwa 300 Leuten das Weiterfahren verhinderte: Auf einer Bühne stand Guido Westerwelle an einem Rednerpult und redete zu einer farblosen Menge politisch klingende Sachen.

Neben ihm standen der hessische FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn, der nur selten zu Westerwelles Worten applaudieren konnte, weil er seiner Wichtigkeit durch die ständige Benutzung seines Blackberrys Ausdruck verleihen wollte, Silvana Koch-Mehrin, deren recht hübsches Gesicht auf nahezu allen FDP-Plakaten zu sehen war, als wolle die FDP allen zeigen: „Wir sind nicht (nur) schwul!“, sowie ein für mich unbekannter Europagewählter und am Schluss der Reihe Hermann Otto Solms, ehemaliger Bundestags-Vizepräsident, der meine Erinnerung schmunzeln ließ: Ich hatte in dessen Sekretariat Anfang 2005 angerufen, um ihn spontan auf eine Podiumsdiskussion einzuladen (Hochschulen im Wettbewerb), wo Nelson Killius sich einen Killius geleistet hatte und uns 3 Tage vor Termin nach monatelanger Zusage agesagt hatte und somit ein neuer neoliberaler Part besetzt werden musste. Für den war aber einfach kein Ersatz zu finden, sodass ich in absoluter Verzweiflung im Büro von Hermann Otto Solms anrief und eine seiner Sekretärinnen bat, ihn anzufragen, ob er in drei Tagen nicht Lust habe, nach Gießen zu kommen und an einer Diskussionsrunde teilzunehmen. Sie versprach mir, ihn zu fragen und mich zurückzurufen, sobald sie eine Antwort habe. Sie rief mich dann tatsächlich zurück, um mir seine Absage mitzuteilen, was ich sehr nett fand.

Nach einem kurzen Flashback schob ich mein Fahrrad zwischen vereinzelt rumlungernden Polizeibeamten hinter der Bühne vorbei und wollte gerade wieder weiterfahren, als mir in der Menge das einzige Transparent ins Auge stach. Es war weiß und mit roter Schrift forderte da ver.di den gesetzlichen Mindestlohn, befestigt an je einer Dachlatte, um es weit über die Köpfe der Menge in den Himmel halten zu können. Nicht nur farblich und inhaltlich fiel es auf, es war auch überhaupt das einzige Message-Utensil in der Menge – keine FDP-Fähnchen oder -Schilder zum Hochhalten waren zu sehen, gelbe FDP-T-Shirts waren nur auf der Bühne sichtbar bei einer Reihe von jungen Partei-Zinnsoldaten, deren interessante Aufgabe es zu sein schien, die Emotionen, die Westerwelles Rede an bestimmten Stellen hervorrufen sollte, für die Menge sichtbar darzustellen und umso heftiger zu applaudieren je mehr entschlossenes Handeln gerade über die Lautsprecher gefordert wurde. Jedenfalls dachte ich mir, dass ich vielleicht den ein oder anderen derer kenne, die sich dort unter dem ver.di-Transparent versammelt hatten, also ging ich hin. Und tatsächlich wurde der rechte der beiden Stöcke von einem guten Freund gehalten, den ich schon seit einiger Zeit nicht mehr gesehen hatte. Ich gesellte mich zu ihm und stellte mich mittig unter das Banner. Wir begannen ein etwas längeres freundschaftliches Gespräch. Dabei erzählte er mir, dass vorhin eine Gruppe von Aktivisten, die sich nun unter dem Transparent wieder gesammelt hätten, sich auf den hinter der Bühne befindlichen Kirchturm begeben hätten, um ein anderes, größeres Banner zu entrollen. (Eine äußerst bemerkenswerte Randpointe: Als ich fragte, was denn dort drauf gestanden habe, musste sich erst durch drei der Entroller durchgefragt werden, bis mir der Spruch genannt werden konnte. Es war irgendwas mit „Kapitalismus„, ich habs vergessen. Es war einigen sichtlich peinlich, dass sie mir nicht sofort die genaue Botschaft nennen konnten.) Bei der Aktion hätten sie sich, um auf den Kirchturm zu gelangen, als Geographiestudenten ausgegeben, die Stadtvermessungen vornehmen wollten. … Naja, auf jeden Fall bekamen sie so gegen 10€ Pfand den Schlüssel vom Wärter, der sich, nachdem der Trupp unter Polizeibegleitung vom Turm geführt wurde, entrüstet gezeigt habe: „Das hättet ihr mir doch sagen können!“ Seine Worte klangen beinahe so, als hätte er mitgeholfen, wenn ihm der Sinn der Aktion bekannt gewesen wäre. Die 10€ Pfand bekamen die Störenfriede selbstverständlich zurück…

Jedenfalls stand ich nun unter dem ver.di-Transparent neben meinem Freund und als wir nach einer längeren Plauderei gerade dabei waren, einen Termin zum Kickern auszumachen, um dabei ein Bier zu trinken, wurden wir von Guido Westerwelle am Rednerpult jäh unterbrochen – und einer Menge feindseliger Blicke, die sich zu uns umdrehten und uns Dinge wie „Jawoll, so sieht nämlich die Wahrheit aus!“, „Du hast keine Ahnung, der weise Mann da vorne hat dir gerade gezeigt, wo’s intellektuell langgeht!“ oder auch einfach nur „Abschaum!“ entgegenschauten. Es war einfach krass zu sehen, wie aggressiv Blicke sein können. Auch die Partei-Zinnsoldaten schauten uns grimmig, fast mordlüstern von der Bühne an und schienen nur auf die nächste passend intonierte Stelle in der Rede zu warten, um uns mit Gewehrsalven ihres Applauses niederzumähen. Es dauerte eine Weile, bis sich die Blicke der anderen etwas beruhigt hatten und sich dem Redelsführer wieder zuwandten. Am meisten ärgerte mich, dass wir durch diese Unterbrechung beinahe vergessen hätten, einen Termin zum Kickern auszumachen, glücklicherweise erinnerten wir uns aber wieder daran, bevor ich nach einer kurzen Weile wieder ging, sodass uns kein Schaden entstand.

Noch eine Randpointe fand dann unterwegs zu Aldi in meinem Kopf statt: Es war natürlich bei der ganzen Veranstaltung auch die Presse anwesend, so auch ein Kameramann vom hessischen Rundfunk. Der hielt irgendwann, als ich so hübsch mittig unter dem ver.di-Transparent stand, mitten auf uns drauf, sodass ich dachte: „Mensch, ich bin bestimmt heut Abend in der Hessenschau!“ Dann erinnerte ich mich an die Aktion mit dem Banner, das vom Kirchturm entrollt wurde, bei der auch von der Polizei einige Personalien aufgenommen wurden und ich dachte: „Hm, wenn der Hessenschau-Bericht nun von ‚Krawallmachern‘ spricht und dazu dieses Bild zeigt, dann könnte ich kommende Woche in der Schule in Rechtfertigungsschwierigkeiten kommen.“ … Der Bericht in der Hessenschau fiel allerdings langweilig aus: In etwa 30 Sekunden wurde nur kurz die Bühne gezeigt und für etwaige Störungen oder andere Meinungen war kein Platz. Schade.

Ein einsamer Gedanke zum Schluss: Die ca. 55-jährige Kassiererin, die mein Waschmittel schließlich abbuchte, zeigte sich ziemlich unbeeindruckt von meinen Gedanken zu FDP, Mindestlohn und Kapitalismus. Ich habe den Eindruck, dass es eher irgendeine persönliche Scham ist, die sie mit ihrer intensiven Bräunungscreme und den wasserstoff-blondierten Haaren zu übermalen versucht.

Im Würgegriff des Stress

So, jetzt ist das Gejammer der Referendare auch bei mir angekommen: Ich bin soo im Stress…

Nicht dass dies Geschreibe einzig und allein eine Ausrede werden soll, warum hier in den letzten vier Wochen  nichts passiert ist. Stattdessen finde ich es einfach krass, zu sehen, was der Stress so aus einen macht: Ich kann nicht mehr gut schlafen, wache mit Übelkeit auf und zum ersten Mal, seit ich mich erinnern kann, muss ich mich zwingen, was zu essen. Das will was heißen…
Das wirklich blöde ist nur, dass meine Arbeit gar nicht in Produktivität zu messen ist. Was mich in Stress versetzt, ist die äußere Unstruktiertheit, die eine innere nach sich zieht. Das hängt in gewisser Weise mit dem fragmentierten Lernen in der Lehrerbildung zusammen, auch wenn ich das damals noch nicht so konkret am eigenen Leib erfahren hab.

Um mein Problem etwas klarer werden zu lassen: Ich habe am Montag einen Unterrichtsbesuch im Fach Deutsch. Dazu muss man eine ausführliche Stundenvorbereitung schreiben, wo man auf etwa 8-10 Seiten präzise darlegt, wie die Lernausgangslage der Schüler ist und wieso man die Unterrichtsstunde genau so plant und nicht anders. Nach der eigentlichen Stunde bespricht man in einem ausführlichen Gespräch mit seinem Ausbilder dann das gemeinsam erlebte und versucht selbst aufzuzeigen, was gelungen ist und wo man hätte anders handeln sollen. Diese drei Teile ergeben zusammen eine Note auf den gesamten Unterrichtsbesuch. Die unterschiedlichen Unterrichtsbesuche erfolgen je nach Modul unter verschiedenen Schwerpunkten. Der Besuch am Montag findet im Fachmodul Deutsch statt mit dem Schwerpunkt ‚Schreiben‘. Das bedeutet, dass ich nicht zeigen kann, was ich möchte, sondern ich muss den systematischen und – wenn ich eine möglichst gute Bewertung haben will – persönlichen Ansprüchen der Ausbildung und der Ausbilders gerecht werden. Gleichzeitig muss ich aber auch den Ansprüchen der Schüler und der Lehrer an der Schule gerecht werden. Das alleine erzeugt schon eine gewisse Zerrissenheit. Hinzu kommt dann bei mir noch der Umstand, dass die Stunde heute nicht so lief, wie ich wollte, weil die Schüler eben nicht immer das machen, was man will (was ja im Grunde ganz sympathisch ist). Jetzt steh ich vor dem Problem, dass ich das, was ich für Montag eigentlich geplant hatte, nicht wirklich sinnvoll machen kann. Ich muss also jetzt noch schnell kreativ werden und diese Kreativität in eine Form bringen.

Der wirkliche Stress wird aber dadurch erzeugt, dass der Rahmen allerdings immer unklar ist. Wenn die Rahmenbedingungen, die Struktur, die mit Arbeit gefüllt werden will, immer diffus vor einem her flimmert, kann man nur schwer entspannen. Oder anders gesagt: Wenn klar ist, was zu tun ist, fällt das Arbeiten – oder vieleicht besser: die Produktivität – leicht. Der Stress entsteht nicht durch die Arbeit selbst und durch die Menge an Arbeit, sondern dadurch, wie klar strukturiert man die Kontur verinnerlichen kann.
Und meine Ausbildung erfordert eben das Lernen in Fragmenten…

Der Händedruck ging von Obama aus

Am Rand des Gipfels kam es am Freitag zu einer ersten persönlichen Begegnung zwischen Obama und dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Die beiden Staatsmänner schüttelten sich zu Beginn der Konferenz die Hände und wechselten einige Worte.

Der Händedruck sei von Obama ausgegangen, teilte das venezolanische Präsidialamt mit. …

(Spiegel-Online, 18.04.09)

Wer es nötig hat, sich zu rechtfertigen, warum er jemandem die Hände geschüttelt hat bzw. deutlich zu machen, dass er diesem jemand nur die Hand gegeben habe, weil der sie ihm zuerst gereicht hat, hat schwere Komplexe und leicht schizophrene Züge:

Theory of Mind ist definiert als die Fähigkeit, Gedanken, Intentionen und Emotionen anderer Menschen korrekt vorherzusagen. Frith postulierte, dass Defizite in der Theory of Mind – Fähigkeit und somit kognitive Repräsentationen von falsch identifizierten Intentionen und Emotionen anderer Menschen die Entstehung von paranoiden Wahnüberzeugungen begünstigen können. …

Zahlreiche Untersuchungen deuten an, dass Defizite schizophrener Patienten in der sozialen Kompetenz bereits vor Erkrankungsbeginn bestehen … . Es bestehen Hinweise darauf, dass Defizite in der sozialen Kompetenz in Zusammenhang mit Defiziten in der Theory of Mind – Fähigkeit schizophrener Patienten stehen. … In einer ersten Studie konnte nachgewiesen werden, dass Defizite im Erkennen von Emotionen anderer Menschen in Zusammenhang mit Defiziten schizophrener Patienten in der sozialen Kompetenz stehen. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass soziale Kompetenzdefizite bei schizophrenen Patienten indirekt durch Trainings in der Emotionserkennung wie z.B. das Metakognitive Training verbessert werden könnten.

(Schizophrenie-Forschung an der Uni Marburg)

Überhaupt gewagter präsidialer Stil für Einen, der der höchste Repräsentant einer Gesellschaft ist, wie man meinen könnte.

Kritik als demokratische Kultur

Wirklich interessanter und auch kurzer Artikel auf Spiegel-Online zum Duckmäusertum im Bundestag. Vorgestellt wird die Meinung von Peter Gauweiler aus den Reihen der CSU, der uns offenbart, dass man auch anders denken kann als nur in vorkategorisierten Blöcken. Einen Namen gemacht hat sich Gauweiler nicht zuletzt durch die Klage gegen den Lissabon-Vertrag, dem er, laut eines Artikels der Süddeutschen Zeitung, den man auf seiner Homepage runterladen kann, Demokratiedefizite vorwirft. Neben ihm klagte übrigens auch Die Linke gegen den Lissabon-Vertrag; das macht vielleicht deutlich, dass Demokratie bedeutet, auch solches Lagerdenken zu überwinden und sich zu inhaltlichen Gegnern oder Verbündeten zu erklären und dies nicht an schon zuvor gefestigten Kategorien festzumachen.

Die Vorgehensweise beim Lissabonvertrag hat mich übrigens schwer an eine SV-Stunde erinnert, die wir in der 9. oder 10. Klasse mal durchgeführt hatten. Ich weiß gar nicht, ob ich da noch stellvertretender Klassensprecher war, ich glaube aber nicht. Jedenfalls gings in der SV-Stunde um das Ziel eines Wandertags und ums abzukürzen: Wir haben so oft abgestimmt, bis das richtige Ergebnis rauskam. Unsere (politisch sehr engagierte) Klassenlehrerin merkte dann auch mal an, dass das ein unzulässiges Verfahren und sie damit nicht einverstanden sei. Ich weiß jetzt gar nicht mehr genau, worum es ging und wo wir schließlich hin sind, aber irgendwie ist das das gleiche Prinzip, wenn der EU-Vertrag in manchen Ländern gescheitert ist, jetzt den schon älteren Lissabon-Prozess aus dem Hut zu zaubern und darin die Inhalte zu verpacken, „damit die Holländer und Franzosen nicht ins Grübeln kämen, warum sie dieses Mal nicht abstimmen dürften“, wie es im angesprochen SZ-Artikel heißt.

Gesine Schwan setzt sich mit ihrer Kandidatur zum Amt des Bundespräsidenten übrigens für eine stärkere demokratische Kultur ein. Und dabei geht es ihr, wenn ich das richtig beobachtet habe, erst zweitrangig darum, Bundespräsidentin zu werden, sondern vor allem um den Kampf, die inhaltliche Auseinandersetzung, wodurch man demokratische Kultur kaum besser aufzeigen kann.

Ich merke grade, dass irgendwie unklar ist, wohin dieser Artikel führt. Um mal einen Punkt zu machen: Mir ist es wichtig, hervorzuheben, dass es Kritik an den derzeitigen demokratischen Verhältnissen nicht nur bei den linken Spinnern gibt, die ja sowieso gegen alles sind. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen das, was diese Welt zusammenhält, in Frage gestellt wird, ist es so wichtig, für etwas zu sein und nicht nur dagegen. Und da ist es umso wichtiger in Zeiten wie diesen, darauf aufmerksam zu machen, dass Demokratie nicht unumkehrbar ist. Umso bemerkenswerter, dass solche Hinweise eben nicht nur von denen kommen, deren Stimme man eh nur noch als Gemecker vernimmt.

Die Passion Christi

Ich war gestern bei einer Filmvorführung in der FEG in Wissenbach, wo anlässlich der jetzigen Feiertage der Film „Die Passion Christi“ gezeigt wurde (mit offiziell lizenzierten Vorführrechten, wie der Veranstalter nicht müde wurde zu betonen – wobei ich immer gedacht hatte, wenn man das nicht kommerziell macht sondern quasi vereinsintern, braucht man dafür keine Lizenz, aber: ich scheine mich geirrt zu haben; oder zählt ein Vereinshaus zu den eigenen vier Wänden?).
Auf jeden Fall hatte ich den Film noch nicht gesehen – war eigentlich nie so scharf drauf – und dachte mir, dass ich das ja jetzt mal nachholen könnte. Ich muss zugeben, dass ich schon vorurteilsbeladen in den Film gegangen bin, sowohl weil man mich wohl als Christ bezeichnen könnte als auch weil ich wenig von Versuchen halte, inneren Wahrheiten eine (scheinbar unabänderliche) äußere Gestalt zu geben.

Und so fand ich den Film dann auch wirklich nicht gut. Was teilweise an Gewaltdarstellungen zu sehen war, war tatsächlich schon krass, aber mir haben sich dann doch auch einfach Details aufgedrängt wie der faltenwerfende Latexüberzug, auf dem die Maske die Wunden des Jesus-Darstellers anfertigen konnte. Sah man stellenweise halt einfach. Auch der Szene, in der er von diesen fiesen, sadistischen römischen Soldaten ausgepeitscht wird mit dieser Peitsche mit Widerhaken, die sich in seine Seite bohren und Fleischfetzen herausreißen, sah man deutlich die Computeranimiertheit an. Es ist halt doch nur irgendwie ein Film, der sich den Kriterien der Filmtechnik unterwerfen muss, auch wenn er etwas Heiliges thematisieren möchte.

Krasser in dem Zusammenhang der Gewaltdarstellung war für mich übrigens das Ausufernde, in dem das Ganze dargestellt wurde. Es war die ganze Zeit der Zeigefinger der Moral zu spüren, der mir sagen wollte: „Schau dir an, wie sehr er leiden musste! Das ist das Schlimmste, was jemals ein Mensch hat ertragen müssen!“ Und irgendwie bin ich nach dem dritten zusammenbrechenden Hinfallen der Jesus-Figur auf dem Weg zur Kreuzigung abgestumpft. Da konnte auch die gefühlsbestimmende Hintergrundmusik mir beim besten Willen nicht mehr helfen… (Ein Nebengedanke: Ist das Leid, das man bei einem geliebten Menschen mitansehen muss, für einen selbst nicht um ein Vielfaches stärker als jenes, welches man selbst aus freiem Entschluss erduldet? Insofern muss unser Gott ein über alle Maße leidender Gott sein, wenn er seine Menschen liebt…)
Was mich an dem Film aber wirklich zutiefst empören ließ (innerlich, ich hab niemandem in dem Saal seine Gefühle zu der Sache streitig machen wollen), war die echt albern wirkende Teufelsdarstellung. Gleich zu Beginn, nachdem dieser Jesus im Garten Getsemane mit Gott um die Unabänderbarkeit des Bevorstehenden ringt, seine Jünger dann schlafend statt wachend vorfindet und sich anschließend abermals ins Gebet stürzt, erscheint von der Seite eine bleiche, mit einem schwarzen Tuch umhüllte Figur, die mich andauernd in meiner lückenhaften Erinnerung der Schilderungen in den Evangelien erfolglos nach ihr stöbern ließ. Es sollte wohl Satan, die Schlange, in Person sein; weder Mann noch Frau, ganz das hinterlistig Böse verkörpernd wollte er wohl diesen Jesus versuchen, damit der sein Schicksal ändere. So zumindest hab ich das verstanden. Der erste Gedanke, als ich diesen Typen sah, war: „Meeiiin Schaaaaatz“ … Er tauchte dann auch immer wieder auf, mal als Schatten, als der Verräter Judas von Kindern (, die mit dämonenverzerrten Fratzen wohl seine teufelsgegebenen Wahnvorstellungen sein sollten,) aus der Stadt gejagt wird und sich bei einer von Maden zerfressenen Eselsleiche (jener Esel, der zuvor noch mit Palmwedel in Jerusalem begrüßt wurde?) das Leben nimmt, mal mit einem missgebildeten Kind/Kleinwüchsigem auf dem Arm, während er an der Geißelungsszenerie an der Jesus-Figur seltsam süffisant vorbeischreitet. Seinen entscheidenden Auftritt hat er dann am Schluss, als dieser Jesus am Kreuz seinen letzten Atem ausstößt. Satan wird da am Boden kniend, die Hände emporstreckend und mit einem Schrei der endgültigen Niederlage dargestellt, während die Kamera, den Blick nach unten auf Satan gerichtet, in bester Dramaturgiemanie in den Himmel entfährt.
Alles schwer albern, wie ich fand.
Auf Wikipedia ist übrigens zu lesen, dass der Film historisch gar nicht so korrekt ist, wie er sich in seinem deutsch untertiteltem Aramäisch/Latein gibt. Auch ist die Story des Films aus den vier Evangelien zusammengewürfelt und einige Begebenheiten waren mir völlig neu.
Bleibt zum Abschluss der Kritik noch die Frage an alle, die den Film schon mal gesehen haben: Welche Augenfarbe hatte dieser Jesus? Und warum?

Aber wie dem auch sei, einigen bei der Filmvorführung schien Mel Gibsons Film recht nahe gegangen zu sein und auch irgendwas Inneres berührt zu haben – das will ich niemandem nehmen. Nur war das bei mir nicht so und so ist es dann auch zu erklären, dass ich nach Filmende, als alle zutiefst betroffen geschwiegen haben, ich in die Stille ziemlich nervig mit dem Schlüsselbund geklimpert hab, penetrant lange, weil ich noch jemandem einen Schlüssel zurückgeben wollte, den ich mir geliehen hatte und ich befürchtete, es sonst zu vergessen. Hab dann erst danach gerafft, dass alle so ruhig waren, weil sie tief betroffen waren. Etwas ungeschickt von mir, war aber keine böse Absicht. Wie das halt so ist mit Fettnäpfchen…

Der geilste Satz des Abends soll dann hier auch noch Erwähnung finden. Der Filmvorführer erzählte zu Beginn eine Kleinigkeit über den Film und eben auch über Mel Gibson, als er den wahrhaft pointierten Satz (unabsichtlich, dessen bin ich mir doch ziemlich sicher) äußerte: „Mel Gibson ist streng katholisch erzogen worden; trotzdem steht er fest im Glauben.“

Mein abschließendes Fazit, bewusst provozierend: Mir sind Jesus-Verfilmungen wie „Das Leben des Brian“ lieber, in denen nicht der Anspruch erhoben wird, die Wahrheit abzubilden. Mit denen kann man ehrlicher umgehen, weil sie viel leichter zu durchschauen sind.

Vielleicht richtet sich meine (lange und stellenweise ausufernde Kritik) ja auch gegen das, was Drewermann im Johannesevangelium mit „Gottesbesitzer“ übersetzt hat (ich hab vor Kurzem schon mal auf Drewermanns Johannsevangelium hingewiesen). Und so will ich zum Abschluss allem Abbilden von Wahrheit nicht den Satz aus 2. Mose 20,4: Du sollst dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist. stellen, sonder vielmehr Jesus selbst zu Wort kommen lassen, als er im Zusammenhang mit der Heilung eines Blindgeborenen einigen Pharisäern (=Gottesbesitzern) offenbart:

Zum Gericht bin ich in diese Welt gekommen, auf daß die Nichtsehenden sehen und die Sehenden blind werden. [Und] etliche von den Pharisäern, die bei ihm waren, hörten dies und sprachen zu ihm: Sind denn auch wir blind? Jesus sprach zu ihnen: Wenn ihr blind wäret, so würdet ihr keine Sünde haben; nun ihr aber saget: Wir sehen, so bleibt eure Sünde. (Johannes 9,39ff)

An den Lippen kleben

Auszug aus einem Artikel auf Spiegel-Online, wo über eine Untersuchung berichtet wird, in der autistischen und nicht-autistischen kleinen Kindern zwei gleiche Zeichentrickfilme zeitgleich – der eine normal vorwärts, der andere rückwärts auf dem Kopf stehend – mit einer einzigen Tonspur (passend zum normal ablaufenden Film) gezeigt und die Fokussierung der Kinder beobachtet wurde:

Die Übereinstimmung der rhythmischen Bewegungen und der rhythmischen Sprechweise fasziniere die Kinder noch mehr als das Klatschen allein, schreiben die Forscher. In dieser Faszination für Synchronität sehen die Wissenschaftler daher den Grund dafür, dass Autisten ihrem Gegenüber beim Sprechen am liebsten auf den Mund sehen.

Ich musste – daran werde ich heute immer noch erinnert, wenn ich mich dabei ertappe, meinem Gesprächsgegenüber nur auf den Mund zu starren – mir früher erst mühsam antrainieren, dass es für den anderen angenehmer ist, wenn man ihm in die Augen als auf den Mund schaut, wenn er redet. Dabei fällt mir auch heute noch auf, dass es mir leichter fällt, das Gesagte zu merken, wenn ich nicht nur zuhöre sondern auch die passenden Lippenbewegungen zu den gesprochenen Wörtern sehe.

Soviel nur dazu, weil ich neulich schon in ähnlicher Weise meine Sichtweise auf Autismus angedeutet habe.  Je mehr ich mich damit beschäftige, desto mehr glaube ich einfach, dass autistische Verhaltensweisen vor allem dazu beitragen, den „normalen Leuten“ einen Spiegel vorzuhalten und deren vermeintlich menschlichen Verhaltensweisen in Frage gestellt zu sehen.

Frühkindlicher Autismus ist eine Entwicklungsstörung, bei der verschiedene Teile des Gehirns nicht richtig zusammenarbeiten und vor allem die soziale Interaktion mit der Umwelt stark beeinträchtigt ist. In der Folge kapseln sich autistische Kinder stark von ihrer Umwelt ab. Viele Forscher und Mediziner vermuten, dass bei ihnen die sogenannten Spiegelneuronen nicht genügend aktiviert werden. Diese Neuronen ermöglichen es, andere Menschen nachzuahmen und sich in den Gegenüber hineinzuversetzen.

Man kann natürlich in einer bei Autisten gesteigerten Faszination für Synchronität die Ursache für das beschriebene Verhalten finden. Allerdings ist es vielleicht viel naheliegender, dass sich den Versuchspersonen der Sinn einer betrachteten Sache nicht intuitiv erschließt, sondern dass sie erst die Zusammenhänge benötigen, um der Beobachtung einen Sinn zu geben. Das für Nicht-Autisten Selbstverständliche wird unter dieser Voraussetzung eben in Frage gestellt; die Welt wird erst geprüft, bevor sie konstruiert wird. Nicht-autistisches aber echtes Lernen könnte demgegenüber vielleicht als Dekonstruktion von etablierten Auffassungen beschrieben werden…

Update

Hab mir grade noch mal durchgelesen, was ich da gestern geschrieben hab: Abgesehen davon, dass ich mir (nicht nur hier) unsicher bin, ob das denn auch alles wenigstens halbwegs stimmt, was hier steht, musste ich feststellen, dass vor allem der letzte Absatz wirr und unzusammenhängend rüberkommt. Ich versuchs, nochmal klarzumachen:

Ich verstehe den Begriff ‚Lernen‘ als das Durchdringen von Welt, also alles, was wir irgendwie wahrnehmen können, verstehen zu wollen. Dazu behelfen wir uns üblicherweise Begriffen und Kategorien, die zusammengenommen unserer Sicht auf die Dinge einen Sinn geben. Diese kategorischen Hypothesen benötigen wir, weil wir ja irgendetwas annehmen müssen, irgendeine Erklärung brauchen, die dann die Grundlage weiteren Lernens sein kann. Jetzt ist es nur so, dass wir im Lauf der Zeit verschiedene Vermutungen als falsch erkennen und bisherige Sichtweisen also dekonstruieren. Deswegen würde ich einfach mal so behaupten, dass die konstruktivistische Sichtweise von Lernen – jeder entwickelt eine eigene Sicht auf die Dinge, die dann kommuniziert und also angeglichen werden aber nicht grundsätzlich falsch sein kann – in Wahrheit einen dekonstruktivistischen Vorgang beinhaltet. Alte Weltbilder und Sichtweisen erweisen sich als unzureichend und werden durch neue, plausiblere Hypothesen ersetzt (übrigens sowohl individuell- als auch menschheitsgeschichtlich betrachtbar).

Meine gewagte These lautet jetzt: Vielleicht ist die oben beschriebene autistische Beobachtungsweise keine thesengeleitete also dekonstruktivistische sondern von ihrem Wesen her unvoreingenommener, naiver, also unmittelbar dem jeweiligen Sinn aus der Beobachtung selbst konstruierend…

(Ohne dass das alles so wirklich stimmen muss hoffe ich, dass es jetzt klarer geworden ist, wie ich drauf gekommen bin.)

PS: Bei dem geilen Wetter werd ich jetzt wohl mal wieder Fahrrad fahren müssen. Hab mich den ganzen Winter drum gedrückt, aber der Sonnenschein entdeckt meine Ausreden…

Fragmentierte Zeit

Genau wie das fragmentierte Lernen sorgt der Zeitmangel während der Lehrerausbildung für innere Zerrissenheit – und Zeitmangel… Nicht dass ich mich allein damit rausreden will, dass ich wegen dem Stress der Ausbildung recht wenig in letzter Zeit geschrieben hab – ich bin, wie angekündigt, zurzeit auch am Umziehen. Aber dennoch bleibt die unumstößliche Tatsache, dass man den Kopf nicht einfach nach abgelaufenem Workload abschalten kann, wenn man mal wirklich schlechten Unterricht hinter sich hat…

Aber wie dem auch sei: Es gibt ja auch günstige Momente, in denen ich etwas Zeit habe. Jetzt ist grade so einer. Ich wollte grade meine kleine Kommode zusammenbauen, nachdem ich vorgestern das unbehandelte IKEA-Holz geschliffen und mit ner Lasur eingestrichen hab. Ich bin dabei wie ein Mathematiker vorgegangen. Mein Mathelehrer sagte früher öfter mal, um eine neue Rechenmethode einzuführen, die wohl irgendwas vereinfachen sollte: „Mathematiker sind von Natur aus faul.“ Das ist übrigens das Einzige, das ich mir aus Mathematik behalten habe. Neulich fragte mich eine Schülerin aus der 7H, wie man eine Matheaufgabe löst, da eine Arbeit in der darauffolgenden Stunde anstand – nebenbei bemerkt scheinbar ein noch höherer Effizizenzgrad der Prüfungsvorbereitung, als ich ihn je perfektioniert hätte. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie die Aufgabe gelöst werden sollte. (Und das, obwohl ich mir in Wissenbach schon den Ruf erarbeitet hab, Mathematik studiert zu haben und sogar schon mal eine Stunde Mathenachhilfe gegeben habe, in der mir der Schüler mehr beibrachte, als ich ihm…) Ich weiß übrigens nicht, was das Mädchen in der Arbeit geschrieben hat, aber ich betrachte es schon als Erfolg, dass ich sie nach einem emotionalen Gespräch überzeugen konnte, die Mathearbeit mitzuschreiben und nicht einfach abzuhauen…

Ich bin also beim Lasurauftragen wie ein Mathematiker vorgegangen und hab mir am Aufbauplan angeschaut, welche Holzteile ich lasieren (gibts das Wort? – scheinbar schon) muss. Jetzt ist es nur so, dass eine gewisse Dialektik im Satz „Mathematiker sind von Natur aus faul.“ auf der Inhaltsseite zu finden ist: Man muss die Mathematik beherrschen, um ein fauler Mathematiker zu sein. Oder einfacher gesagt: Ich hab ein Holzteil übersehen und musste jetzt während des Aufbaus noch mal ein Stück lasieren, das natürlich jetzt erstmal trocknen muss. Und das bedeutet, dass ich grade mal wieder Zeit habe, einen (bereits abgekühlten) Pfefferminztee zu trinken und den ein oder anderen Blogeintrag zu machen.

Ich hoffe, es bleiben nicht solche günstigen Momente der Zeit, die ich meinen fragmentierten Unfähigkeiten verdanke, um diese Seite auch weiterhin während der Ausbildung am Leben zu erhalten.

Fragmentiertes Lernen

Wie der geneigte Leser dieses Blogs schon mitbekommen haben mag, befinde ich mich derzeit im Referendariat (offizielle Bezeichnung: Lehrer im Vorbereitungsdienst). Ich habe dabei noch etwas mehr als ein Jahr vor mir, bis ich mit dieser Ausbildung fertig bin und mein zweites Staatsexamen abgeschlossen haben werde. Ich stelle dazu in letzter Zeit fest, dass jegliches Lernen, das in diesem Rahmen stattfindet, nur in Fragmenten, sprich: zusammenhangslos, für sich allein genommen stattfindet. Ich bin mir nicht sicher, ob das einzig und allein der noch recht jungen Modularisierung der Lehrerausbildung zu verdanken ist.

Klammer auf:
Modularisierung beschreibt ein neues Organisationsprinzip, das Studiengänge in einzelne Studiengangselemente zerlegt, mit denen eine definierte Teilqualifikation erworben werden kann. Die verschiedenen Module sollen in unterschiedlicher Form kombinationsfähig gehalten werden und sich zu einem individuell zusammengestellten Studiengang mit einem individuellen Qualifikationsprofil zusammenfügen. Die Absolventen können ihr Studienverhalten und die gewählten Schwerpunkte damit flexibler an eigenen Interessen, aber auch an den Erfordernissen des Arbeitsmarktes bzw. andere Abnehmer ausrichten.

Klammer zu:
Module scheinen in besonderer Weise geeignet zu sein, die Zersplitterung und Fragmentierung von Studiengängen, die derzeit nach Semesterwochenstunden eingeteilt sind, durch sachbezogenen und gegenstandsbezogene Organisationsformen zu ersetzen und die Studierbarkeit zu erhöhen aber auch Interdisziplinarität und damit einen verstärkten Gegenstandsbezug zu ermöglichen. Das gilt in ganz besonderer Weise für die immer wieder als „ortlos“ beschriebene, über die verschiedensten Fachbereiche verteilte, an ganz unterschiedlichen Wissenskulturen orientierte Lehrerbildung.

Ich glaube, dass die Umsetzung der Modularisierung (zumindest meine Erfahrung aus der Beobachtung im Studium und dem Erfahren im Referendariat) dem Prinzip des fragmentierten Lernens Vorschub leistet (und widerspreche damit Radtkes Auffassung).

Ein ähnliches Prinzip wie das der Modularisierung finden wir übrigens in der traditionellen deutschen Schule mit ihren Fächern, über die Woche verteilten Einzelstunden und vielen verschiedenen Lehrern als Lernaufseher (böse formuliert). In diesem Zusammenhang ist es äußerst interessant, sich die Rahmenstrukturen in den so genannten Reformschulen anzuschauen, in denen offene Unterrichtsformen „ausprobiert“ werden und in einen größeren, alternativen schulischen Rahmen gestellt werden. Entgegen dem landläufigen Verständnis von offenem Unterricht = Beliebigkeit und unstrukturierte Unterrichtssituation sind die Rahmenbedingungen – richtig angewendet – sehr klar strukturiert. Diese klare Strukturierung ermöglicht erst den inneren Freiraum des Lernens.

Zurück zum fragmentierten Lernen: Das Wesen von offenem Unterricht bzw. Reformschulen wie der Bodenseeschule St. Martin ist auch das Lernen in Zusammenhängen. So ist die Projektarbeit wesentlicher Bestandteil des Unterrichts in der Reformschule Kassel. Dort arbeiten, grob gesagt, Schüler allein oder in kleinen Gruppen an einem Thema über mehrere Wochen und präsentieren dann ihre Ergebnisse. (Der Lehrer steht dabei als Berater dem Schüler zur Seite.) Was im Rahmen eines herkömmlichen Schulverständnisses „fächerübergreifender Unterricht“ genannt wird – und somit schon im Begriff die Ausnahme von der Regel verankert wird –, findet hier selbstverständlich und kontinuierlich statt: das Lernen in Zusammenhängen.

Für die Lehrerausbildung bedeutet das nun nicht, dass die Referendare mehr in Projekten innerhalb der Module arbeiten sollten. Vielmehr macht es deutlich, dass ein grundsätzliches Umdenken vonnöten ist. Das derzeit fragmentierte Lernen resultiert im Wesentlichen daraus, dass der theoretische Teil der Ausbildung (die Zeit, die ich in Modulen verbringe) völlig diffus zum praktischen Teil (die Zeit, die ich in und mit der Schule verbringe) steht. Die Forderung lautet also nicht, die Modularisierung abzuschaffen. Entscheidend sollte viel eher sein, die Theorie an die Schule zu holen und so die Praxis zu bereichern und die Theorie zu prüfen. Derartige Entwicklungen deuten sich übrigens schon an, zumindest wird in Hessen vereinzelt in diese Richtung gedacht.

Langfristig betrachtet und konsequent gedacht würde das übrigens dahin führen, dass Bildungseinrichtungen wie z.B. Universität und Schule nicht einzeln als separate Einheiten betrachtet werden sollten, sondern sie würden sich vielmehr ineinander drehen und miteinander lernen. Schließlich ist ja auch Bildung an sich ein Wert, der nicht mit irgendeiner Qualifikation oder einem Modul separiert dargestellt und betrachtet werden kann. Dass wir diesen Umstand ständig (systematisch) ignorieren, ist eine ganz andere Sache – nun, eigentlich keine völlig andere Sache, aber doch eine, die jetzt zu weit weg führt und den ohnehin schon viel zu langen Blogeintrag (wer soll das bloß alles leesen) nur künstlich aufblasen würde…

Manche Gewalt hat keine Logik

Nach dem krassen Selbstmord in Winnenden gibt es nach meiner Beobachtung im Fernsehen tatsächlich überwiegend Bestürzung, Trauer – und Sachlichkeit. Natürlich kam bei den Berichterstattungen auch das Thema Verbot von Killerspielen vor und oft wurde auch eine Verschärfung der Gesetzeslage gefordert, um das Erlangen von Waffen zu erschweren. Allerdings wurde diese Thematik überwiegend differenziert behandelt und klar gemacht, dass es um etwas anderes gehen muss, als Verbote auszusprechen (zumindest bei den öffentlich rechtlichen).

Zwar hab ich, was die Gewaltspiele anbelangt, durchaus eine kritische Haltung. Allerdings muss ich dann doch kritisieren, dass die Spezialisten in der Berichterstattung manchmal auf unzählige Studien verwiesen, die den Zusammenhang zwischen virtueller und realer Gewalt klar belegen würden.  Jedoch ist der Konsens verschiedener Untersuchungen eher der, den der Forscher Bert te Wildt wie folgt hier formuliert:

Allein Computerspiele machten jedoch niemanden zum Amokläufer, betonte der Forscher: „Wie bei psychischen Erkrankungen kommen für eine solche extreme Fehlentwicklung mehrere Faktoren zusammen. Ohnehin ist davon auszugehen, dass alle jugendlichen Amokläufer psychisch krank sind, ebenso depressiv wie aggressiv.“

Ich glaube, dass die Formuilierung „mehrere Faktoren“ dabei auch nur synonym sind zu: Wir verstehen nicht, was da bei einem Menschen passiert ist. Und vielleicht ist das das wahrhaft Schreckliche an diesem Amok-Selbstmord: Er hat keine Logik. Denn bei allem was man findet an Gründen, warum Tim starke innere Probleme gehabt haben muss und es ihm nicht reichte, denen in Computerspielen ein Äußeres zu geben, bleibt immer noch die Frage zu beantworten: Warum dann diese ultimative Entscheidung? Die mit all diesen Gründen zu beantworten – und auch die Summe dieser Gründe als Argument anzuführen – reicht zur Erklärung einfach nicht aus. Vielleicht hat manche Gewalt einfach keine Logik.

Trotzdem aufschlussreich: Gewalt spielen, eine Dokumentation von Anja Kretschmer

Und wenn es Garfield niemals gegeben hat? – Depressiv aufhellende Gedanken

Garfield minus Garfield

[…] Das Ergebnis der Retusche ist ein Comicstrip über Garfields Herrchen Jon – und das verstörende Porträt eines Single-Lebens in den amerikanischen Suburbs. „Hattest du je das Gefühl, eine ganze Menge zu verpassen“, fragt Jon den Leser. Wo im Original Garfields leidlich sarkastische Antwort („Ja. Ist das schlimm?“) den Strip zwangspointiert, sind in der neuen Fassung nur zwei Panels mit dem ins Nichts stierenden Jon zu sehen. Keine Erlösung durch dumme Antworten. Nur Leere.

Leere ist überhaupt die alles dominierende Botschaft der „Garfield minus Garfield“-Strips. Da die Originale aus jeweils drei Bildern bestehen und Garfield die Hauptrolle in der Reihe innehat, bedeutet dies für die neuen Versionen, dass in vielen Panels nach der Retusche gar nichts mehr zu sehen ist. Jon, der sich Maiskolben in Mund und Ohren steckt. Und dann: nichts. Jon, der fragt „Wie ist der Salat?“ Und dann: nichts.

Garfield wurde wegretuschiert. Und? Weg ist er damit nicht. Der gedankliche Trick: Natürlich braucht man Garfield, um ihn retuschieren zu können. Der „Garfield minus Garfield“-Strip funktioniert nur, weil es Garfield in Wahrheit gibt. Jons einsame Depression funktioniert nur mit dem gedanklichen Garfield – auch wenn der erst wegretuschiert werden muss…

Vielleicht ist das die dialektische Antwort auf die depressive Gewissheit derer, die die Antwort nicht ertragen können: Das Leben hat einen Sinn. Die Gewissheit, dass das Leben sinnlos ist, kann logisch-dialektisch nur funktionieren, weil es einen Sinn gibt (, der verloren ging, wegretuschiert wurde, was auch immer).
Und: Viel lieber als diejenigen, die sich wie Jon der Resignation hingeben, sind mir doch jene, welche den Kampf gegen die Sinnlosigkeit aufnahmen. Deren Waffe ist interessanterweise das Leid. So wird zum Beispiel im Zusammenhang mit Heinrich Heines Matratzengruft gesagt:

Man mag den Tod ignorieren können, aber nicht den Schmerz. Büchners „Riß in der Schöpfung“, den das „leiseste Zucken des Schmerzes, und rege es sich nur in einem Atom“, erzeugt, läßt vielleicht erst erahnen, daß die Welt eine Schöpfung und also nicht alles ist.
(Navid Kermani: Der Schrecken Gottes, Seite 37)

Dazu (mal wieder) Blumfeld:

Soviel ist klar: Wir sind nicht neu,
Schon lange hier sind wir wie Risse in der Schöpfung. […]

Was mach ich bloß an dieser Stelle,
An der ich längst noch nicht zu mir gekommen bin,
Wo ich mich kreuz und quer zerstreue –
In alle Himmelsrichtungen
Denk ich mich dauernd zu Dir hin.

Ich beende diese Hardcore-Gedanken-Session mit Hiob, dem Ewigen, der von Gott sagt:

Siehe, tötet er mich, ich werde auf ihn warten, nur will ich meine Wege ihm ins Angesicht rechtfertigen.