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Schlagwort: Uni

Mehr Bildung!

Wie hier zu lesen ist, war die Vollversammlung der Studierenden der Uni Gießen diese Woche noch besser besucht als letzte Woche. Ich bin ja ein bisschen von den Protesten beeindruckt, im Wesentlichen aus zwei Gründen:

Zu AStA-Zeiten haben wir immer über die „Mobilisierung“ von Studierenden nachgedacht – und waren immer mal wieder ein wenig enttäuscht, weil sich so Wenige für die Hochschulpolitik zu interessieren schienen. Mit diesen Protesten hat der AStA meines Wissens nichts zu tun, die Vollversammlungen wurden jedenfalls nicht von ihm ausgerufen. Das bedeutet, dass die Studierenden die Dinge jetzt sehr viel ernster zu nehmen scheinen und Politik selbst machen wollen.

Außerdem könnte man meinen, dass das Thema Studiengebühren viel mehr Studierende bewegen könnte als so etwas Abstraktes wie „Freie Bildung„. Trotzdem wird aus der „Gießener Erklärung“ gerade deutlich, dass die Ziele sehr inhaltlich und sehr konkret in genau diese Richtung zu gehen scheinen – und das, obwohl Studiengebühren in Hessen abgeschafft und nicht wieder eingeführt wurden.

Ich denke, wenn die Verschulung der Universität so viel Protest hervorrufen kann, (was ich noch vor einem Jahr nie geglaubt hätte,) dann kann es die Verschulung der Schule doch eigentlich auch! Ich will damit sagen, dass der Bildungsprotest, der jetzt stattfindet, die Chance nutzen muss und weiter zu denken hat, als nur bis zur Hochschule. Dazu ist meines Erachtens der entscheidende Punkt, den Bildungsbegriff in jeder Debatte klar zu definieren – und sich eben nicht mit der Bedeutung in der öffentlichen politischen Debatte zufrieden geben, in der oft nur sehr platt mehr Geld für Bildung gefordert wird. Hier wird Bildung zu sehr als „Wissensaneignung“ definiert, wie sich aber Bildung von Wissen abgrenzt, ist im AKBp-Flyer schon 2003 recht gut zusammengefasst. Wer also mehr Geld für Bildung fordert, sollte unbedingt klarmachen, was er unter Bildung versteht. Erst aus diesem Begriff kann dann das entsprechende Menschenbild deutlich werden, das ja Grundlage und Maßstab einer Debatte um Bildungsfinanzierung sein muss.

Ein Nachgedanke:
Im Wort „Bildung“ steckt der Prozess als Ergebnis.

Psychologie eines Klodiskurses

Am Donnerstag traf ich mich an der Uni mit Björn zum Schachspielen, als ich mal gemütlich ausführlich aufs Klo musste.  Als ich so „uffem Schacht“ saß, las ich mir den angeregt geführten Klodiskurs an der Tür durch, der in etwa davon handelte, dass ein vormaliger Besucher zunächst pauschal alle Studentinnen als Prostituierte bezeichnete, da sie sich für Scheine (und er erwähnte extra auch die Seminarscheine) den Professoren anbieten würden. Der nächste forderte auf, Namen zu nennen und nicht bloß bei unbestimmten Behauptungen also unglaubwürdig stehen zu bleiben, woraufhin der Eingangsschreiber seinen Vorwurf immerhin auf den Fachbereich 06 eingrenzte, wegen der räumlichen Nähe vermutlich nicht Sport sondern die Psychologie meinte. Da schaltete sich auf einmal ein weiterer Debattant ein mit dem Ausruf „Kann man denn hier nicht mal in Ruhe sch*****?!“ Die Antwort kam prompt in Form eines Adorno-Zitats (wie ich mich später von meinem Schachkollegen aufklären lassen musste, peinlich peinlich): „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.
Randbemerkung: Auch Adorno gehörte zu den Leuten, die lieber in etwas anderem groß geworden wären…

Jedenfalls wollte ich nun mein Kabinenbedürfnis zeitgleich mit dem Toilettentür-Diskurs beenden. Als ich gerade im Begriff war, mich des Diskurses zu entziehen, entdeckte ich an der linken Kabinenwand ein Wort, das mir nicht so recht in den Zusammenhang zu passen schien: „Snujer“. Da hatte doch jemand tatsächlich ein Wort hingeschrieben, dessen einzigen Sinn ich entringen konnte, indem ich es als meinen falschgeschriebenen Nachnahmen identifizierte. Verwirrt belustigt las ich mir den ganzen Satz durch … Was ich las, ließ mich die Augen zusammenkneifen (mit dem Schachten wars da übrigens schon längst vorüber): „All The Oles Are Fat, Including The Snujers.“ . Ich muss sagen, dass ich das Dasein dieses Satzes bis jetzt nicht ganz gerafft habe und es als eines der wenigen Mysterien in meinem Leben wohl existieren lassen muss.
Ich werde wahrscheinlich nie herausfinden, was jemanden dazu veranlasst hat, mich an der Kabinenwand in diesen sinnfreien Satz zu bannen. Meine einzige Vermutung besteht darin, dass der Satz, dessen Anfangsbuchstaben der Wörter nochmal extra aufgeführt waren, Teil eines Spielchens war, bei dem zufällig ausgewählten Buchstaben ein logisch richtiger Satz zugeordnet werden musste. Jetzt frage ich mich natürlich, seit wann der Satz schon da stand und ich ihn nicht bemerkt hatte… (Später am Abend bei unseren regelmäßig reaktivierten AKBp-Treffen kamen wir dann auf den Gedanken, dass ich vielleicht während des Studiums jahrelang gemobbt worden bin – es aber nie gemerkt habe…)

Kurz darauf beim weiteren Schachspielen wurden wir von zwei Psychologinnen angesprochen, ob wir nicht Lust hätten, an einem Experiment zur Untersuchung der Sprachwahrnehmung teilzunehmen, als Belohnung gäbe es einen Schokoriegel. Da ich billig zu haben war und Lust auf ein Snickers hatte, stimmte ich zu und ging mit einer der beiden zu einem Büro, während ich sie die ganze Zeit peinlichst auf Hinweise auf Prostitution hin untersuchte – ich konnte nichts dergleichen feststellen.
Im Büro angekommen musste ich mit Erschrecken feststellen, dass auf dem Tisch nur Duplo und Kinderriegel standen; wurde also nichts mit Snickers. Entsprechend unmotiviert begab ich mich an den ersten Test. Dort sollte ich zunächst Buchstaben nach meinen Vorlieben benoten. Also, wenn ich das „O“ besonders mochte (immerhin der Anfangsbuchstabe meines Vornamens), gab ich 9 Punkte, das langweilige „S“ bekam 5 und das komische „Y“ nur zwei Punkte. Das ganze lief am Computer ab in zufälliger Reihenfolge und ich durfte nicht Nachdenken, als ich die Buchstaben bewertete. Beim zweiten Test musste man möglichst schnell wirre Buchstabenkombinationen, also Fantasiewörter einteilen in jene, die mit einem Vokal begannen, und jene, die mit einem Konsonant anfingen, das Ganze möglichst schnell. Danach musste ich noch zwei Mal den ersten Test, also das Buchstabenranking, wiederholen. Zum Abschluss sollte ich dann noch einen kurzen Fragebogen ausfüllen, bei dem mir Fragen zu meinem derzeitigen Selbstwertgefühl gestellt wurden. Also, wie wichtig ist mir, was andere über mich denken; was denke ich, wie viel ich Wert bin und so weiter. Mein Selbstwertgeühl hing immer noch an dem Satz an der Kabinenwand, deshalb waren die Antworten nicht ganz so arrogant wie sonst. Nach dem Fragebogen war die Untersuchung dann auch schon fertig und ich durfte mir einen der beiden Schokoriegel für meine Mühen aussuchen (Stichwort: Prostitution im Fachbereich 06). Ich lehnte dankend ab.
Beim Rausgehen teilte die wissenschaftliche Mitarbeiterin mir dann wenig überraschend die Auflösung des Ganzen mit: „Jetzt kann ichs dir ja sagen, das Ganze hatte nichts mit Sprachgefühl zu tun. Es ging viel eher darum, zu untersuchen, ob es einen Zusammenhang zwischen der Vorliebe für den eigenen Anfangsbuchstaben und der Selbstwertschätzung gibt.“ (Ich glaube, der Begriff dazu wäre Implizite Selbstwertschätzung.) „Beim zweiten Test wurden dir kurze Impulse gezeigt, die du nicht bewusst hast wahrnehmen können, es ging da bei den Vokalen und Konsonanten nur um deine Afmerksamkeit. Die Unteruchungsmethode ist allerdings umstritten, aber anders kann man es ja auch nicht messen.“ Ich überlegte kurz, ob ich sagen sollte, dass ich das „O“ zwar außerordentlich gut bewertet hatte, meinen Selbstwert aber vor allem situativ bedingt eher etwas weit unten angesiedelt habe.
Mit einem schlechten Gewissen, hier gerade jemandem die Promotion versaut zu haben, verließ ich die Psychologie und wandte mich wieder dem Schachspielen zu. Das Spiel gewann ich natürlich und Snickers und Klospruch waren wieder kompensiert – in da Face, Björn! Ich bin der Tollste!

Als wesentliche Erkenntnis aus diesem psychologischen Diskurs nehme ich also mit: Die beste Waffe gegen Mobbing ist mangelnde Wahrnehmung, der Begriff „Schokoriegel“ ist je nach Giergrad unterschiedlich interpretierbar und Prostitution findet weniger durch die Psychologinnen selbst als vielmehr durch die Psychologie als Wissenschaftsdisziplin statt, indem sie versucht, Erkenntnisse durch pseudo-naturwissenschaftliche Messmethoden zu erzeugen und sich so möglichst billig an die Wahrheit zu verhökern (zum Glück ist die Wahrheit aber integer).