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Schlagwort: Bildung

Geh Eh Weh

Auf spiegel.de ist eine Kolumne zu finden, in der eine Mutter über ihre Erlebnisse bei Elternsprechtagen berichtet: Ganz harte Schule
Warum Lern­ent­wicklungs­gespräche Mumpitz sind. Ûber diesen Satz bin ich gestrauchelt:

Ich äußerte den innigen Wunsch, meiner Tochter doch bitte beizubringen, wenigstens die Arbeitsblätter mitzubringen.

Mich erinnerte das an ein Plakat von der GEW zu einem Elternsprechtag, auf dem ein Elternteil zum Lehrer sagt: „Mein Sohn sagte mir, Sie seien verhaltensauffällig.“

CliFi aka Zusammenhangslos TM

Während ich mir noch immer schwer Gedanken mache, passiert so Einiges.

Tatran hat heute ein neues Album herausgebracht:

(Tree ist einer der wenigen Titel, die wirklich neu sind. The Elephant bspw. kennt man ja schon vom Live-Album.)

Und heute Abend läuft im Deutschlandfunk ein Feature zum Thema Climate Fiction. Das interessiert mich, denn nachdem ich in den vergangenen Tagen einigen Schülern versucht habe, ein paar Dinge rund um den Klimawandel beizubringen, befürchte ich, dass es für den ein oder anderen auch eher um CliFi statt um CliSci ging. Benutzt haben wir das Monash-Klimamodell, mit dem man auch ein bisschen Star-Wars spielen kann. Ziel des Spiels ist es, die Klimafaktoren so zu verändern, dass aus der Erde bspw. Tatooine wird (, dessen Bevölkerung sich übrigens „größtenteils auf die Ballungsräume Mos Eisley und Mos Espa“ konzentriert). Den spielerischen Ansatz finde ich gut. Ich frage mich, was dann später wirklich an Zusammenhang hängen geblieben sein wird.

Außerdem gab es am Mittwoch im PoetrySlam endlich mal wieder einige ernsthafte Texte und weniger Comedy. Da hat es sich gelohnt, seit Ewigkeiten mal wieder hingegangen zu sein. Gute Idee, Anne!

PS: Wusstet ihr, dass es in der Folge Die Schlacht von Maxia von Star Trek – The Next Generation irgendwie auch um die Frage geht, wie körperlich alles ist? Weniger Fiktion ist da im entfernten Zusammenhang dieser Text: Nele hat Schmerzen. Und: Habt ihr schonmal von Silke Bischoff gehört?

Bibliothekswetter

Zum Korrigieren bin ich jetzt seit Langem mal wieder in die UB. Und was passiert? – Zack, hab ich mich zum Kaffeetrinken unten getroffen. Das Wetter lädt aber auch wieder zum Prokrastinieren ein, Junge. (Alter, sind die Leute hier klein geworden. Und die Gesprächsthemen meiner Holzbanknachbarn auch.)20151012_001

Kompetenzdesorientierung

Neulich beim pädagogischen Tag an der Schule, der unter dem Motto „Unterrichtsentwicklung“ stand und sich schwer mit Kompetenzen und Bildungsstandards befasste, lauschte ich mit meinem Kollegium einem nicht schlechten, wenngleich auch nicht guten, Vortrag über Kompetenzorientierung. So richtig neu war mir aus alledem nichts, lustig fand ich nur, wie der Herr vom IQ Hessen es geschafft hat, elegant zu verschleiern, dass Hessen mal wieder einen Sonderweg bundesweit zu nehmen versucht, indem andere Kompetenzbegriffe als die bundesweiten Termini benutzt werden sollen – zumindest in Geographie ist das geplant. Dumm ist, dass es dabei nicht nur um Begriffe sondern auch um Inhalte geht und die geographieeigene Kompetenz „Räumliche Orientierung“ nicht weiter auftaucht, was dem ohnehin schon wenig angesehenen Fach weiter die Bedeutung streitig macht. Jedenfalls ersparte ich mir, dem IQ-Mann und dem Kollegium diese und andere Kritik nach Beendigung seines Vortrags, um anderen das fragende Wort zu überlassen. Und so stand auch gleich ein Kollege mit einer wichtigen Frage auf, bevor er die jedoch stellte, wollte er sich absichern und bat den IQ-Mann, kompetenzorientiert eben noch mal schnell Folie 10 der PowerPointPräsentation aufzurufen. Was dann passierte, war spektakulär: Ohne zu übertreiben, es dauerte etwa vier Minuten, bis es dem Vortragenden gelang, die gewünschte Folie aufzurufen. Mit Spannung verfolgten wir die kläglichen Mausgesten auf den beiden Leinwänden und jedesmal, wenn der Zeiger deutlich Folie 10 verfehlte oder einen Rechts- statt Linksklick vollzog, ging ein mitleidiges Raunen durch den Raum. Ganz großes Tennis. Nachdem IQ-Man es dann unter anweisender Hilfe des stellvertretenden Schulleiters geschafft hatte, die Folie im Programm auf der Bearbeitungsebene sichtbar zu machen, ahnte ich das nächste Unheil kommen: Er startete die Bildschirmpräsentation und schwupps waren wir wieder auf der ersten Folie… Irgendwann waren dann die besagten vier Minuten um und Folie 10 präsentationsbereit. Was der Kollege diesbezüglich überhaupt fragen wollte, hab ich dann vergessen, aber das kompetendesorientierte Spektakel rund um PowerPoint wird wohl noch ne Weile in meinem Gedächtnis bleiben. Macht das IQ ja auch nur sympathisch.

PS: Lehrer sind wie Schüler, wird mir immer wieder in solchen Situationen, wenn alle im „Klassenverband“ auf einem Haufen sitzen und Tuscheln, Mathearbeiten korrigieren oder sich über Kollegen austauschen immer wieder bewusst. Zu dieser Erkenntnis braucht es nicht Freires Pädagogik der Unterdrückten und den dort geprägten Begriff des Schüler-Lehrers bzw. Lehrer-Schülers.

Kaffeefahrt zur Qualitätsentwicklung: „I needs a beer“

Gestern war ich in Frankfurt beim dortigen Amt für Lehrerbildung, um an einer Testleiterschulung im Rahmen des Instituts für Qualitätsentwicklung teilzunehmen. War an sich auch ganz spannend, bis auf die Schulung. – Geht halt letztlich um Statistik: Objektivität, Validität, Reliabilität. Das Ziel davon ist es, den Schulen Tests zur Verfügung zu stellen, deren Ergebnisse als  nationaler bzw. landesweiter Leistungsvergleich der schulinternen Evaluation dienen sollen. Dahinter steckt der meiner Ansicht nach alte Irrtum, dass Bildung messbar bzw. objektivierbar sei. Nicht, dass keine Bildungsstatisitk Wert besitze, aber ich erachte es als gefährlich, ein Instrument zu entwickeln, das behauptet, endlich objektiv, sprich: „wahrhaft“, einen wie auch immer gearteten Leistungsstand darzustellen. Letztlich ist das die gleiche Diskussion, die sich auch um die Zensuren dreht.

Was dann noch mehr Unmut in mir hervorrief, waren die Kartons mit Testmaterialien, die wir je nach Anzahl unserer Schulbesuche in die Hand gedrückt bekamen. Die konnten wir in vom IQ organisierte REWE-Tüten stecken, sodass wir wie Kaffeefahrtteilnehmer im vollbesetzten Zug aus Frankfurt wegfuhren. Fünf Personen mit 10 Rewetüten belagern sieben Plätze (die Kartons passten nicht in die Gepäckablage). Ich will nicht wissen, was die Leute über unsere Herkunft gedacht haben – dass wir es nötig haben, nach Frankfurt zum Rewe einkaufen zu fahren…

Auf der Fahrt saß ich mit einer Freundin auf einem vollgepackten Viererplatz, als eine Frau mit einer Gruppe Reisender ankam. Sie befahl ihren Begleitern, wo sie sich hinsetzen sollten. Alle wirkten ein bisschen – ich weiß jetzt nicht, wie ich es ausdrücken soll – prekär/bildungsfern/heruntergekommen. (Bei dem Herrn, den sie in unseren Viererplatz plazierte, nachdem wir unsere Kartons auf einen Platz gestapelt hatten, bekam ich nach kurzer Zeit extreme Lust auf alten Käse.) Die dominante Dame, die mich ein bisschen an das Klischee einer älteren Zigeunerin erinnerte, fragte dann unseren neuen Reisebegleiter, während sie ihn hinsetzte, wo er denn herkäme, sie würde einen arabischen oder persischen Hintergrund vermuten. Er kuckte nur ein bisschen komisch und sagte, dass er aus Deutschland komme (Rüsselsheim, wie ich im späteren Gespräch mit ihm erfahren konnte). Die Dame erklärte ihm, dass ihr eigener Freund aus Rumänien komme, das sei ein ganz ausgezeichneter Menschenschlag, und setzte sich zwei Reihen weiter auf ihren Platz. Ich konnte beobachten, wie sie nach kurzer Zeit asiatisches Essen auspackte, das mit seinen süß-sauren Soßen die ohnehin schon exotischen Gerüche im Wagon ergänzte. Sie aß aus einem viergeteilten Plastikteller, als ich mitbekam, wie sie den Preis ihrem Sitznachbarn vorrechnete: „1,60 das hier, 1,70 das und die beiden Soßen je 50 Cent. 3 Euro für einen ganzen Teller, da kann man nicht meckern!“ Ich verkniff einen Kommentar, der zwar vielleicht zu einer Qualitätsentwicklung hätte beitragen können, aber irgendwie fühlte ich mich mit meiner Rewetüten-Armada nicht sehr qualifiziert. Außerdem war ich sowieso vollkommen vereinnahmt von dem Telefongespräch, das der prekär plazierte Herr mir gegenüber mit seinem Schwager führte. Dabei fluchte er gar nicht arabisch oder persisch, sondern äußerte sich ziemlich auf Gutdeutsch. Er sprach auch ziemlich laut. Worum es ging, war mir nicht ganz klar, aber als ich ihn nach seinem Telefonat darauf hinwies, dass er ja ziemlich deutliche Worte gefunden habe, meinte er, das sei die einzige Sprache, die sein Schwager verstünde. Wir kamen ein wenig ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass er die Dame und deren Begleiter mitfahren ließ auf seinem Hessenticket. Die kannten sich also alle nicht. Als er dann eine Cola aus seinem Rucksack hervorkramte, erklärte er mir, dass er die brauche, weil er nicht so gerne Zug fahre. Das sei ihm zu eng und zu viele Leute und so. Das Problem konnte ich teilen. Was das Ganze mit Cola zu tun hatte, hab ich nicht verstanden. Er telefonierte schließlich noch ein paar mal, um irgendjemanden sein Fahrrad von irgendwo nach irgendwoanders bringen zu lassen, das aber so laut, dass Schallwellen und Geruchsmoleküle fortan ein Belästigungsduell miteinander führten. Nachdem er nach Beendigung eines Telefonats plötzlich aufstand und so für eine unerwartete Luftbewegung sorgte, konnte ich seufzend den Sieger ausmachen. Während er weg war, erfuhr ich dann durch arglistiges Belauschen der Zigeunerfrau – ich meine, vielmehr durch geschulte Beobachtungen als neuerlicher Testleiter zur Qualitätssicherung, dass sie dem Deutschen mit arabisch-persichem Hintergrund ganz und gar nicht traue und dass sie und ihr Begleiter sich vor ihm in Acht nehmen müssten. Als sie dann nach ihrem exotischem Mahl meinte „I needs a beer“ und ihr Begleiter ihren Wunsch erfüllte, war ich glaube das erste Mal in meinem Leben neidisch auf jemanden, der ein Bier aus einer PET-Flasche trinkt. Denn das hätte dieser absurden Zugfahrt wenigstens noch etwas Sinn verliehen.

Bildung mag zwar nicht messbar sein, aber im Zug war sie irgendwie fühlbar.

Mehr Bildung!

Wie hier zu lesen ist, war die Vollversammlung der Studierenden der Uni Gießen diese Woche noch besser besucht als letzte Woche. Ich bin ja ein bisschen von den Protesten beeindruckt, im Wesentlichen aus zwei Gründen:

Zu AStA-Zeiten haben wir immer über die „Mobilisierung“ von Studierenden nachgedacht – und waren immer mal wieder ein wenig enttäuscht, weil sich so Wenige für die Hochschulpolitik zu interessieren schienen. Mit diesen Protesten hat der AStA meines Wissens nichts zu tun, die Vollversammlungen wurden jedenfalls nicht von ihm ausgerufen. Das bedeutet, dass die Studierenden die Dinge jetzt sehr viel ernster zu nehmen scheinen und Politik selbst machen wollen.

Außerdem könnte man meinen, dass das Thema Studiengebühren viel mehr Studierende bewegen könnte als so etwas Abstraktes wie „Freie Bildung„. Trotzdem wird aus der „Gießener Erklärung“ gerade deutlich, dass die Ziele sehr inhaltlich und sehr konkret in genau diese Richtung zu gehen scheinen – und das, obwohl Studiengebühren in Hessen abgeschafft und nicht wieder eingeführt wurden.

Ich denke, wenn die Verschulung der Universität so viel Protest hervorrufen kann, (was ich noch vor einem Jahr nie geglaubt hätte,) dann kann es die Verschulung der Schule doch eigentlich auch! Ich will damit sagen, dass der Bildungsprotest, der jetzt stattfindet, die Chance nutzen muss und weiter zu denken hat, als nur bis zur Hochschule. Dazu ist meines Erachtens der entscheidende Punkt, den Bildungsbegriff in jeder Debatte klar zu definieren – und sich eben nicht mit der Bedeutung in der öffentlichen politischen Debatte zufrieden geben, in der oft nur sehr platt mehr Geld für Bildung gefordert wird. Hier wird Bildung zu sehr als „Wissensaneignung“ definiert, wie sich aber Bildung von Wissen abgrenzt, ist im AKBp-Flyer schon 2003 recht gut zusammengefasst. Wer also mehr Geld für Bildung fordert, sollte unbedingt klarmachen, was er unter Bildung versteht. Erst aus diesem Begriff kann dann das entsprechende Menschenbild deutlich werden, das ja Grundlage und Maßstab einer Debatte um Bildungsfinanzierung sein muss.

Ein Nachgedanke:
Im Wort „Bildung“ steckt der Prozess als Ergebnis.

Fragmentiertes Lernen

Wie der geneigte Leser dieses Blogs schon mitbekommen haben mag, befinde ich mich derzeit im Referendariat (offizielle Bezeichnung: Lehrer im Vorbereitungsdienst). Ich habe dabei noch etwas mehr als ein Jahr vor mir, bis ich mit dieser Ausbildung fertig bin und mein zweites Staatsexamen abgeschlossen haben werde. Ich stelle dazu in letzter Zeit fest, dass jegliches Lernen, das in diesem Rahmen stattfindet, nur in Fragmenten, sprich: zusammenhangslos, für sich allein genommen stattfindet. Ich bin mir nicht sicher, ob das einzig und allein der noch recht jungen Modularisierung der Lehrerausbildung zu verdanken ist.

Klammer auf:
Modularisierung beschreibt ein neues Organisationsprinzip, das Studiengänge in einzelne Studiengangselemente zerlegt, mit denen eine definierte Teilqualifikation erworben werden kann. Die verschiedenen Module sollen in unterschiedlicher Form kombinationsfähig gehalten werden und sich zu einem individuell zusammengestellten Studiengang mit einem individuellen Qualifikationsprofil zusammenfügen. Die Absolventen können ihr Studienverhalten und die gewählten Schwerpunkte damit flexibler an eigenen Interessen, aber auch an den Erfordernissen des Arbeitsmarktes bzw. andere Abnehmer ausrichten.

Klammer zu:
Module scheinen in besonderer Weise geeignet zu sein, die Zersplitterung und Fragmentierung von Studiengängen, die derzeit nach Semesterwochenstunden eingeteilt sind, durch sachbezogenen und gegenstandsbezogene Organisationsformen zu ersetzen und die Studierbarkeit zu erhöhen aber auch Interdisziplinarität und damit einen verstärkten Gegenstandsbezug zu ermöglichen. Das gilt in ganz besonderer Weise für die immer wieder als „ortlos“ beschriebene, über die verschiedensten Fachbereiche verteilte, an ganz unterschiedlichen Wissenskulturen orientierte Lehrerbildung.

Ich glaube, dass die Umsetzung der Modularisierung (zumindest meine Erfahrung aus der Beobachtung im Studium und dem Erfahren im Referendariat) dem Prinzip des fragmentierten Lernens Vorschub leistet (und widerspreche damit Radtkes Auffassung).

Ein ähnliches Prinzip wie das der Modularisierung finden wir übrigens in der traditionellen deutschen Schule mit ihren Fächern, über die Woche verteilten Einzelstunden und vielen verschiedenen Lehrern als Lernaufseher (böse formuliert). In diesem Zusammenhang ist es äußerst interessant, sich die Rahmenstrukturen in den so genannten Reformschulen anzuschauen, in denen offene Unterrichtsformen „ausprobiert“ werden und in einen größeren, alternativen schulischen Rahmen gestellt werden. Entgegen dem landläufigen Verständnis von offenem Unterricht = Beliebigkeit und unstrukturierte Unterrichtssituation sind die Rahmenbedingungen – richtig angewendet – sehr klar strukturiert. Diese klare Strukturierung ermöglicht erst den inneren Freiraum des Lernens.

Zurück zum fragmentierten Lernen: Das Wesen von offenem Unterricht bzw. Reformschulen wie der Bodenseeschule St. Martin ist auch das Lernen in Zusammenhängen. So ist die Projektarbeit wesentlicher Bestandteil des Unterrichts in der Reformschule Kassel. Dort arbeiten, grob gesagt, Schüler allein oder in kleinen Gruppen an einem Thema über mehrere Wochen und präsentieren dann ihre Ergebnisse. (Der Lehrer steht dabei als Berater dem Schüler zur Seite.) Was im Rahmen eines herkömmlichen Schulverständnisses „fächerübergreifender Unterricht“ genannt wird – und somit schon im Begriff die Ausnahme von der Regel verankert wird –, findet hier selbstverständlich und kontinuierlich statt: das Lernen in Zusammenhängen.

Für die Lehrerausbildung bedeutet das nun nicht, dass die Referendare mehr in Projekten innerhalb der Module arbeiten sollten. Vielmehr macht es deutlich, dass ein grundsätzliches Umdenken vonnöten ist. Das derzeit fragmentierte Lernen resultiert im Wesentlichen daraus, dass der theoretische Teil der Ausbildung (die Zeit, die ich in Modulen verbringe) völlig diffus zum praktischen Teil (die Zeit, die ich in und mit der Schule verbringe) steht. Die Forderung lautet also nicht, die Modularisierung abzuschaffen. Entscheidend sollte viel eher sein, die Theorie an die Schule zu holen und so die Praxis zu bereichern und die Theorie zu prüfen. Derartige Entwicklungen deuten sich übrigens schon an, zumindest wird in Hessen vereinzelt in diese Richtung gedacht.

Langfristig betrachtet und konsequent gedacht würde das übrigens dahin führen, dass Bildungseinrichtungen wie z.B. Universität und Schule nicht einzeln als separate Einheiten betrachtet werden sollten, sondern sie würden sich vielmehr ineinander drehen und miteinander lernen. Schließlich ist ja auch Bildung an sich ein Wert, der nicht mit irgendeiner Qualifikation oder einem Modul separiert dargestellt und betrachtet werden kann. Dass wir diesen Umstand ständig (systematisch) ignorieren, ist eine ganz andere Sache – nun, eigentlich keine völlig andere Sache, aber doch eine, die jetzt zu weit weg führt und den ohnehin schon viel zu langen Blogeintrag (wer soll das bloß alles leesen) nur künstlich aufblasen würde…

Über das Lernen von Sprache

Interessanter Ausschnitt aus einem Interview mit Daniel Tammet, einem Savant (Inselbegabten):

SPIEGEL ONLINE: Sie lernen extrem schnell. Isländisch haben Sie vor einigen Jahren in nur einer einzigen Woche gelernt – ohne vorher jemals etwas mit der Sprache zu tun gehabt zu haben. Was machen Sie anders als andere Menschen?

Tammet: Die meisten Menschen halten fremde Sprachen für etwas Mysteriöses, Beängstigendes. Sie tun so, als wären Sprachen etwas Künstliches und lernen Listen von Wörtern und Konjugationen, nach dem Motto „ich bin, du bist, er ist“. So kommt man nicht wirklich voran. Ich lerne eine fremde Sprache intuitiv, so ähnlich wie es Kinder tun. Ich versuche, ein Gefühl für die jeweilige Sprache zu entwickeln und Muster zu erkennen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Kleine runde Dinge fangen in Deutsch häufig mit „Kn“ an, Knoblauch, Knopf, Knospe. „Str“ wiederum beschreibt lange, dünne Dinge, Strand, Strumpf, Strahlen. Diese Muster gibt es in allen Sprachen. Wenn man sie erkennt, bekommt man ein Gefühl dafür, wie eine Sprache funktioniert, und kann sie leichter lernen.

SPIEGEL ONLINE: Auf die Idee, Worte nach Formen zu sortieren, wären wir als Muttersprachler allerdings nie gekommen.

Tammet: Heute vielleicht nicht. Aber ich glaube, dass Sie Deutsch, als Sie jung waren, unbewusst genau auf diese Weise gelernt haben. Jeder, der als Kind seine erste Sprache lernt, denkt auf diese Weise. Wenn man später im Leben eine Sprache lernt, ist der Zugang dann allerdings ein anderer. Das Gehirn hat sich verändert. Plötzlich hält man fremde Sprachen für merkwürdig. Aber sie sind es nicht. Jede Sprache ist logisch, weil sie von menschlichen Gehirnen erdacht wurde. Es ist also vollkommen natürlich, nach der Logik einer Sprache zu suchen und diese Logik für das Lernen zu nutzen.

Im Grunde genommen ein Plädoyer für die Verkindlichung des Lernens – und damit gegen den derzeitigen Aufbau von Schule. Vielleicht steckt im System Schule die strukturelle Verkörperung der Arroganz der Erwachsenen (besser: Entwachsenen), sprich: die felsenfeste Überzeugung, zu wissen, was die Welt ausmacht und wie sie funktioniert, und diese kategorische Weisheit jetzt den jüngeren Menschen verbindlich zu vermitteln. (Um das klarzustellen –  Ich bin gar nicht zwingend dafür, Schule in ihrem Wesen zu verändern. Meinetwegen schon, aber mir gehts vor allem darum: Ich möchte, dass dieses Wesen erkannt wird, damit alle Teilnehmenden sich bewusst in und mit diesem System bewegen können.)

Das beste Beispiel für die Arroganz der Wissensbesitzer ist die Sprache. Begriffe bilden das ab, was wir Wirklichkeit nennen. Aber sie tun dies nicht aus sich selbst heraus sondern nur in Kombination mit anderen Begriffen. Erst dadurch entstehen Kategoriegrenzen. Aber es gibt mehr als nur einzelne Begriffe und Grenzen dazwischen; in geäußerter Sprache, also bspw. gesprochen oder geschrieben, spielen die gedanklichen Begriffe mit ihren Grenzen und miteinander – in Form von Silben, Wörtern, Sätzen, Texten… Ok, vielleicht etwas schwere Kost. Man kanns auch reduzieren darauf, was deutlich wird, wenn man verschiedene Sprachen vergleicht: Wörter und deren Bedeutungen sind im Grunde genommen nicht 1:1 zu übersetzen. Das deutsche Wort Wald und das englische Wort wood haben eine große Schnittmenge, aber es gibt Sinn- und Sprachzusammenhänge, in denen die Wörter Unterschiedliches abbilden. Ferdinand De Saussure formuliert dazu als vielgehörter Sprachwissenschaftler die Arbitrarität, das meint die Unmotiviertheit in der Verbindung zwischen Wort und Bedeutung, einfach gesagt (für ihn gibts bei einem Zeichen, bei ihm das Wort als kleinste Einheit, eine Inhalts- und eine Ausdrucksseite, die ich hier vereinfacht mit Wort und Bedeutung übersetze; wer sichs noch krasser geben will: Freges Zeichenverständnis und seine Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung). Also um das Geplapper auf einen Punkt zu führen: Sprache ist nicht eindeutig, ihre Logik ergibt sich aus ihren Zusammenhängen und ihren Sinn erfährt sie in jeder benutzten sprachlichen Situation. Die Übersetzung von Texten ist deshalb so schwer und eine hohe Kunst, weil eben nicht einzelne Wörter wie in einem Lexikon übersetzt werden müssen, sondern weil zu den Wörtern die inneren sprachlichen Zusammenhänge, die Zusammehänge zwischen Sprache und Gebrauch und die Zusammenhänge zwischen Gebrauch und Situation übersetzt werden müssen. Es muss die sprachliche Kultur, ja die Kultur selbst übersetzt werden.

Das alles bedeutet nun nicht, dass man eine Sprache nicht in der Schule lernen könnte, es bedeutet viel eher, dass man eine spezielle, steife, technokratische Form dieser Sprache lernt – vorausgesetzt es handelt sich um den typischen Sprachenunterricht, in dem man im Klassenraum sprachliche Beispiele behandelt.

Für mich als Haupt- und Realschullehrer an einer großen Gesamtschule mit dreigliedrigem Schulsystem bedeutet es konkret, dass man Sprache nicht unabhängig von der Kultur, also dem tatsächlichen Benutzen von Sprache lernen kann. Ihre innere Logik und ihre äußeren Zusammenhänge lassen sich nicht wahrhaft in der verfremdeten Lernsituation des Klassenzimmers lernen. Was aber geht, ist, den SchülerInnen neben der technokratischen Sprache ein Bewusstsein mitzugeben, dass es keinen fixen sprachlichen Zustand gibt, dass Sprache gelebt ist und sich also verändert – sei es in Rap-Texten oder der Realisierung von Chatausdrücken. Der kulturelle Raum verändert ihren Gebrauch und also auch die Sprache selbst. Dieses Bewusstsein muss man mit in die Lernsituation tragen, damit Sprachlernen nicht als Fremdes, Aufgezwungenes von Kindern wahrgenommen wird sondern als Teil ihrer und unserer Kultur. (Um dieses Prinzip zu erkennen muss man übrigens kein Savant sein…)