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Kategorie: Gesellschaft

Vergessen

Ich war gestern in einem Altenpflegeheim, die hatten dort ein Sommerfest und ich wollte die Gelegenheit nutzen, einen alten Bekannten zu besuchen. Meine Mutter meinte, ich solle damit rechnen, dass er mich nicht mehr erkennt, aber wenn er jemanden erkennt, dann bestimmt den Ole, sagte sie. Ich wollte das gerne glauben. Als ich ankam, brauchte ich erst mal eine Weile, bis ich ihn gefunden hatte, er hatte sich auch körperlich sehr verändert. Und was dann wirklich schwierig war, zu spüren, dass er mich nicht erkannte. Das vorher zu wissen und dann das Vergessen zu erleben sind zwei völlig unterschiedliche Dinge.

Ich hab ihm eine Arbeitstaschenlampe aus dem Baumarkt mitgebracht, weil ich wusste, dass er für sinnlosen Unfug immer zu haben war. Er hat sie dann tatsächlich auch immer wieder vom Tisch genommen, auf den Ein-Schalter gedrückt, gesehen, dass sie leuchtet, sie wieder ausgeschaltet und zurück auf den Tisch gelegt. Nach ein paar Minuten ging das wieder von vorne los, so als sei er in einer Wiederholung gefangen. Heute denke ich, dass er das gemacht hat, um die Lampe in seinen Besitz zu nehmen und sich daran zu gewöhnen.

Meine Supertante hat mir dann noch das Wohnheim gezeigt und mich sehr beeindruckt, weil sie eigentlich fast jeden kannte und es irgendwie immer schaffte, eine persönliche Ebene zu Leuten aufzubauen, auch wenn manche nur zurück lächelten oder für mich unverständliche Dinge in einer Mischung aus Platt und Demenz quasselten. Mit jemandem zu kommunizieren, wenn man keine, kaum oder eine andere Bestätigung als erwartet bekommt, finde ich ziemlich schwierig. Es arbeiten dort, wenn ich mich richtig erinnere, etwa 200 Ehrenamtliche, was ich echt stark finde. Im ganzen Haus sind vereinzelt Erinnerungsstücke aus der guten, alten Zeit aufgestellt. Dies hilft sicherlich einzelnen, Situationen zu erleben, in denen man sich erinnert.

Das schlimmste, das man einen Demenzkranken fragen kann: „Kennste mich noch?“ Denn was ist, wenn nicht? Damit setzt man den anderen so sehr unter Druck, dass vielleicht gar kein Gespräch zustande kommt…

Es war eine Erfahrung, die man mit noch so vielem theoretischen Wissen über die Demenzproblematik nicht ersetzen kann.

Edward Snowden

Heute nur kurz ein Link zu einem guten Beitrag im Überwachungsthema, der zu Beginn die richtigen Fragen stellt: Bürger im absoluten Staat

Und: Was sagt es über eine Gesellschaft aus, dass die Satire – die derweil populärste Form der Kritik – vorrangig der Unterhaltung dient?

Ein Freund vertrat erst kürzlich die These, dass wir uns bereits in der Postdemokratie befänden. Da ist er nicht der erste. Aber, wie gesagt, sehe ich ja das größere Problem in der gegenseitigen persönlichen Überwachbarkeit und der Bewusstheit darüber. (Z.B.: „Du warst doch bei Whatsapp online, warum hast du nicht geantwortet??“) Wenn man so formulieren mag, könnte ich nun den Postindividualismus feststellen. Könnte man bestimmt mal googeln…

Freund oder Arschloch

Gestern habe ich einen Anhalter mitgenommen. Ein mittelalter Herr türkischer Herkunft hatte ein paar Elektrogeräte von Frohnhausen nach Dillenburg zu bringen. Als er im Auto saß, fragte er in gebrochenem Deutsch, ob wir noch woanders langfahren könnten, er würde gerne noch anderes Zeug  mitnehmen. Wie sich herausstellte, handelte es sich um ziemlich große Blechplatten, die nur mit einigen Umräumaktionen in mein Auto gepasst hätten. Da hatte ich keinen Bock drauf, also fuhren wir wieder weiter. Er meinte dabei nur, dass er bald noch mal hier vorbei schauen müsse, sonst „holt so eine andere Arschloch“ die Bleche ab.

Auf der folgenden kurzen Fahrt erklärte er mir, dass es ihm um Kupfer und ähnliche wertvolle Bestandteile in ausrangierten Bauteilen ginge. Er fragte mich dann auch, ob ich den Monitor und den Computer, die ich  dabei hatte, um sie in meinen Klassenraum zu stellen, noch bräuchte. Ich erklärte ihm das. Er wurde dann hellörig und meinte, ich solle an ihn denken, wenn unsere Schule mal alte Sachen ausrangiere. Er würde mir für 20,30 Monitore auf 50 Euro geben.

Bei ihm zu Hause angekommen zeigte er mir noch seine Garage mit wertvollem Gerümpel. Autoreifen wollte er mir dabei auch verkaufen. Bei dem Gespräch nannte er mich dann öfter „Freund“. Ich fuhr schließlich weiter ins Schwimmbad und dachte noch ein bisschen über den gar nicht so wunderlichen Mann nach und merkte, dass man leicht jemanden, den man per Anhalter kennen lernt, als „Freund“ und noch leichter jemanden, den man gar nicht kennt, als „Arschloch“ bezeichnen kann.

Die Moral von der Geschichte: Nur weil ich eine e-Wigkeit hier nichts geschrieben habe, heißt das nicht, dass dies das spektakulärste Ereignis in der letzten Zeit war, dass „gebrochenes Deutsch“ eine allgemeingültige Kategorie unabhängig vom Betrachter sei, und noch weniger, dass ich was zu sagen hätte.

Dresden

Ich war über das vergangene Wochenende das zweite Mal in Dresden. Während ich beim ersten Besuch von der Stadt beeindruckt war und die Reden eines Freundes, der sich mit der Stadt nicht hat anfreunden können, für nicht zutreffend erklärte, bin ich dieses Mal mit meinem Eindruck etwas skeptischer. Das Stadtzentrum teilt sich im Wesentlichen in Neustadt (nördlich der Elbe) und Altstadt (südlich). Die Altstadt ist wegen der Bombenangriffe im 2. Weltkrieg jünger als die Neustadt. Ich habe mich diesmal hauptsächlich in der Altstadt aufgehalten, sie ist touristisch überbevölkert. In der Neustadt war ich bei meinem ersten Besuch, da spielt sich wohl das wahre Leben ab. Samstag nachts um 12h in einem vollen Dönerladen zu sitzen mit einer losen Menschenmenge auf der kopfsteinbeflasterten Straße davor kriegt nicht jedes Stadtgebiet hin. Die Altstadt jedoch wirkt sehr inszeniert und vermag vielleicht mit musealen Veranstaltungen glänzen, aber sowohl die alten (neu aufgebauten) Gebäude, wie alles um den Zwinger und die Frauenkirche, als auch die sich südlich an den Altmarkt anschließende Fußgängerzone lassen kaum Raum für Individuelles. Nur ganz vereinzelt waren da Läden, die nicht vor Geld zu strotzen schienen. Interessanterweise waren dort um die Ecke (neben dem Beate-Uhse-Laden) Innenhöfe von Wohnbauten, die, wenn sie nicht fragmentiert wären, dicht an die Bezeichnung sozialer Brennpunkt herankommen könnten. Die DDR-Architektur an sich ist nach meinem Empfinden in die Altstadt eingepropft, dass daraus jetzt Hotels gemacht wurden, wirkt sich nicht auf den Charme der Stadt aus. Aus Einheit wurde nicht Vielfalt. Aber wie gesagt, vielleicht war ich zu viel in der neuen Altstadt unterwegs…

Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen

Ich war ja Donnerstag schon wieder im Kino in Lich in der beeindruckenden Dokumentation „Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen„. War sehr interessant, einen Einblick in das konfessionelle Leben der Grabeskirche zu erhalten. Krass fand ich, wie sehr die Konflikte zwischen den christlichen Konfessionen dort unausgesprochen vorhanden sind und sich selten dann auch in Gewalt entladen, wenn Feiertage und damit verbunden Prozessionen von den Kirchen zeitgleich stattfinden. Besonders erwähnenswert war ein Wortbeitrag eines Franziskaners, der in etwa lautete: „Nach dem Willen von Jesus soll es nur eine Kirche geben und nicht viele verschiedene. – Und diese eine Kirche sehe ich nur in der römisch-katholischen Kirche verwirklicht.“ Das ist die kategorische Verbortheit, die eine ehrliche Ökumene sehr schwierig macht. Und damit meine ich nicht das gemeinsame Feiern von Ritualen, sondern das ehrliche Akzeptieren des Anderen in seiner Andersartigkeit. Dazu ist der Dialog wesentliche Bedingung. Wobei ich ja glaube, dass der Mangel an ehrlicher Auseinandersetzung kein konfessionelles oder religiöses Problem ist, sondern ein menschliches.

Innehalten ohne Wachstumsangst

Das Gezeter um die Aschewolke des isländischen Vulkanausbruchs hat gezeigt, dass unsere Gesellschaft kaum in der Lage ist, einfach mal eine Pause zu machen. Das liegt wohl an einer für viele selbstverständliche Wachstumsmaxime (China), die das Denken auch sehr unbewusst bestimmen kann. Dabei darf man mit Sicherheit die Frage stellen, ob das Wachsen tatsächlich die sinnvolle Art von Fortschritt ist. Wohlstand ohne Wachstum, so lautet ein lesenswerter  Spiegel-Artikel über eine wirtschaftlich alternative Denkweise.

Der Presseclub, den ich gerade schaue, redet über die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen zur Stützung der griechischen Wirtschaft. Und so richtig ausgestanden ist die Finanz- und Wirtschaftskrise der jungen Zeit ja auch noch nicht. In diesem Zusammenhang ist im Rahmen einer grundsätzlichen Kapitalismuskritik immer wieder von Gier die Rede. Ich finde dabei weniger die Gier entscheidend, weil ich glaube, dass dahinter eher eine unscheinbare Angst steht, nicht hintenanstehen zu wollen – bedingt durch ein Konkurrenzdenken, das nur Wachstum als Maßstab kennt.

Mein Fazit aus der „Vulkankrise“ ist weitreichender: Stillstand ist Rückschritt? Innehalten wäre ein Anfang.