Zum Inhalt springen →

Kategorie: Glaube

Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen

Ich war ja Donnerstag schon wieder im Kino in Lich in der beeindruckenden Dokumentation „Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen„. War sehr interessant, einen Einblick in das konfessionelle Leben der Grabeskirche zu erhalten. Krass fand ich, wie sehr die Konflikte zwischen den christlichen Konfessionen dort unausgesprochen vorhanden sind und sich selten dann auch in Gewalt entladen, wenn Feiertage und damit verbunden Prozessionen von den Kirchen zeitgleich stattfinden. Besonders erwähnenswert war ein Wortbeitrag eines Franziskaners, der in etwa lautete: „Nach dem Willen von Jesus soll es nur eine Kirche geben und nicht viele verschiedene. – Und diese eine Kirche sehe ich nur in der römisch-katholischen Kirche verwirklicht.“ Das ist die kategorische Verbortheit, die eine ehrliche Ökumene sehr schwierig macht. Und damit meine ich nicht das gemeinsame Feiern von Ritualen, sondern das ehrliche Akzeptieren des Anderen in seiner Andersartigkeit. Dazu ist der Dialog wesentliche Bedingung. Wobei ich ja glaube, dass der Mangel an ehrlicher Auseinandersetzung kein konfessionelles oder religiöses Problem ist, sondern ein menschliches.

Hiobs Frage

Massoud hatte mich vorgewarnt, daß Tante Lobats ganzer Körper vom Ausschlag wund sei und offenbar schrecklich jucke; ständig müsse sie massiert werden, eingeölt oder einfach nur gekratzt. Obwohl sie ihr Morphium gaben, wimmerte sie den ganzen Tag kläglich vor sich hin, wenn sie nicht aufschrie, daß es noch den Nachbarn ins Mark gehen mußte, oder vor Schmerz gleich in Ohnmacht fiel. Man liest das in Romanen, daß Menschen auf einen Schlag um ein halbes Menschenleben altern können. Hier war das so: Ein Jahr zuvor hatte mich eine zwar schmerzgeplagte, aber fröhliche Frau von siebzig, fünfundsiebzig Jahren verabschiedet, nun war ich zurückgekehrt zu einem hautbespannten Skelett, bei dem sich das Alter schon nicht mehr schätzen ließ. Bewegen konnte sie nur noch die Hände, sprechen nichts außer der unverständlichen Reihung von Silben. Die Haare, die sie, seit ich denken kann, immer zusammengesteckt und bei Besuch unter einem Kopftuch versteckt hatte, breiteten sich schneeweiß in alle Richtungen aus, zogen sich wirr übers ganze Kissen und bis zur Brust herab. So sehr war sie abgemagert, daß sich in ihrem einst kugelrunden Gesicht alle Wölbungen und Einkerbungen des Schädels abzeichneten. Um so größer waren die Augen, die mich aus tiefen Höhlen anstarrten, als ich das Zimmer betrat.

Mein Gebein hanget an mir an Haut und Fleisch, und ich kann meine Zähne mit der Haut nicht bedecken. Erbarmet euch mein, ihr meine Freunde! denn die Hand Gottes hat mich getroffen (Hiob 19, 20-21)

Ich werde ihren Blick nie vergessen: Er war mehr als nur leidend, er war zornig und zugleich von tiefer kindlicher Furcht, in angestrengter Nachdenklichkeit, ratlos, hilflos und zugleich beschämt. Ja, es war ihr peinlich, nicht nur in einen solchen Zustand gebracht worden zu sein, sondern dabei auch noch von allen gesehen zu werden, dazu all diese Umstände, Mühen und Kosten, die sie verursachte. Sie war bei klarem Bewußtsein, das hatte mir Massoud vorher schon gesagt, damit ich nicht erschrecke, aber ich hätte es auch sofort an ihrem Blick bemerkt.

Die Tränen in den Augen mußte ich nicht verbergen, da sie ohnehin wußte, was vor sich ging. Auch sie weinte. Sie nahm präzise wahr, was mit ihr geschau, was sie durchlitt und daß wir ihr zusahen; sie reflektierte es, darauf deutete die Konzentration in ihrem Blick hin, aber ihr waren die Möglichkeiten genommen, darauf zu reagieren, es wenigstens zu kommentieren. Das machte sie wütend, das spürte ich genau. Sie wollte das nicht hinnehmen, alles andere, aber das nicht. Deshalb unternahm sie immer neue Anläufe zu sprechen, ohne daß es ihr gelang, die Zunge zu den Sätzen zu bewegen, die sie auf den Lippen hatte. Sie stammelte etwas, blickte in unsere fragenden Gesichter, stellte fest, daß sie sich wieder nicht hatte verständlich machen können, und zuckte mit dem Kinn nach oben, um den Kopf im gleichen Augenblick verbittert von uns abzuwenden. Für mich war dies schwerer zu ertragen als die Schmerzensschreie: dieser nach oben zuckende und dann wegdrehende Kopf, das Wegwerfen, das sich darin andeutete, oder besser gesagt, der Versuch, es wegzuwerfen, das elende Leben, das den Aufwand nicht lohnt. Aber es ging nicht, nicht einmal das ging, denn es blieb an ihr haften, das Leben, sie konnte es einfach nicht abschütteln. „Gewöhnlich sagt man einem Menschen, dessen Zustand aussichtslos ist: ‚Gib es auf, leg dich hin und stirb!‘ “ heißt es in einer Erzählung Sadeq Hedayats. „Aber was geschieht, wenn der Tod dich nicht haben will, wenn er dir den Rücken zukehrt, wenn er einfach nicht zu dir kommt, nicht zu dir kommen will?“ Sie mußte weiter vor uns ausharren.

Und dennoch, so unangenehm ihr, der Glaubensstarken und immer Geduldigen, es war, vor uns so erbärmlich vorgeführt zu werden – noch schlimmer war für sie, wenn wir sie verließen, und sei es nur, daß einer aufs Klo mußte, denn sie vermochte nicht zu beurteilen, ob man auch wiederkommen würde. Sie verstand offenbar nur Bruchstücke dessen, was wir ihr zubrüllten, und dann war es auch so, daß sie uns oft nicht zu glauben schien, daß sie dachte, Badri oder Moussad würden sie nur schonen, wenn sie sagten, ihre Enkelin, ihr Bruder, ihr Neffe kämen gleich zurück. Wenn sie merkte, daß wir aus dem Zimmer gehen wollten, bettelte sie panisch wie ein kleines Kind, das nicht allein zu Hause bleiben will, da sie jedesmal dachte, wir würden nun nach Deutschland zurückkehren und sie würde uns nie mehr sehen. Wenn es einen Menschen gab, den Glaube und seelische Verfassung stark genug gemacht hatten, Schmerzen und Unheil zu erdulden, war sie es, aber das hier, das ging schlicht über ihre Kräfte hinaus, sogar über ihre Kräfte. Damit hatte sie nicht rechnen können, daß es so schlimm werden könnte, das hatte ihr niemand gesagt. Es stand in keinem Buch, nicht einmal im Buch Gottes, in dem sie täglich gelesen hatte. Es zog sich noch beinah ein Jahr hin, juckend, schmerzend, von Eiter überzogen: ein Martyrium. „Siehe da, er sei in deiner Hand“, sprach der Herr zu Satan (Hiob 2,6), der daraufhin Hiob mit bösartigen Geschwüren von der Fußsohle bis zum Scheitel schlug: „Mein Fleisch ist um und um wurmig und kotig; meine Haut ist verschrumpft und zunichte geworden.“ (7,5)

Gewiß ist Hiob keine Person aus unserem täglichen Leben. Dennoch muß man nicht in die Geschichte oder ferne, krisengeschüttelte oder von Katastrophen heimgesuchte Länder gehen, um ihn zu finden. Ein Besuch im Spital genügt. Man braucht nicht einmal zu den Schmerzpatienten gehen. Die Scham kann den Menschen ähnlich zersetzen, das sagen einem alle Pfleger. Dort habe ich ihn getroffen, nur noch 46 Kilo schwer, der auf dem Stuhltopf saß und eine hellbraune Flüssigkeit schiß. Bett und Kleider waren verschmiert. Der Pfleger stülpte sich Handschuhe über und wusch Po und Geschlecht des Wimmernden behutsam mit einem Schwamm. Bestürzter hätte mich Hiob nicht ansehen können. Viel schlimmer als die Schmerzen war für meinen Großvater, daß er am Ende die Herrschaft über seine Blase verloren hatte. Man macht sich hier keinen Begriff davon, was es in Iran vor zwei, drei Jahrzehnten noch bedeutete, Oberhaupt der Familie zu sein, welche Würde es zugleich voraussetzte und mit sich brachte. Und da sah ich Dreizehnjähriger nun, wie sich Großvater vor allen Leuten in die Hose machte, und ich war dabei, als meine Tante Jaleh ihm die Unterhose wechselte. Dabei hatte er für sich von Gott nur zwei Dinge erbeten, wie mein Bruder ein paarmal mitgehört hatte: vor seinen Kindern zu sterben, was ihm nicht vergönnt war, da sein jüngster Sohn übernächtigt gegen einen Baum fuhr, und zu sterben, bevor er auf die Hilfe anderer angewiesen war. Nun hatte Gott ihm, dem Stolzen, die Hilflosigkeit ausbuchstabiert wie ein pedantischer, unnachgiebiger Lehrer. Auch Tante Lobat quälte die Scham über die eigene Schwäche, das sah ich genau. Nicht einmal Hiob, der nackt auf der Asche sitzt und sich mit einer Glasscherbe kratzt, der einst vor allen gerühmte Hiob hält es aus, daß Gott ihn zum Spott für die Leute ausgestellt hat: „Mein Odem ist zuwider meinem Weibe, und ich bin ein Ekel den Kindern meines Leibes. Auch die jungen Kinder geben nichts auf mich; wenn ich ihnen widerstehe, so geben sie mir böse Worte. Alle meine Getreuen haben einen Greuel an mir.“ (19, 17-19)

Hiob konnte wenigstens noch klagen; meiner Tante war selbst dies verwehrt, sooft sie immer wieder neu versuchte, wenigsten einen einzigen Satz zu artikulieren. „O hätte ich einen, der mich anhört!“ (31, 35) Alle in meiner Familie, auch die Alten, waren sich einig, daß ihr das grauenvollste Sterben zuteil geworden war, an dem je einer von uns teilgenommen, von dem je einer gehört hatte – ausgerechnet ihr, der Gottesfürchtigsten unter uns, der Gerechtesten. Das genau ist die Erfahrung Hiobs, nicht nur das Leiden, auf welches das Christentum mit dem Kreuz eine entschiedene Antwort gibt, sondern dessen Ungerechtigkeit, das gottgewollte Unrecht, auf das auch das Kreuz nicht antwortet. Niemand hat es weniger verdient als er: „Denn es ist seinesgleichen nicht im Lande, schlecht und recht, gottesfürchtig und meidet das Böse“, spricht Gott, bevor Er Hiob dem Satan überläßt (1,8). Gerade weil Hiob gerecht ist, muß er leiden. Und wie Hiob zu Gott sagt, „Laß mich wissen, warum du mit mir haderst“ (10,2), so schien im bohrenden Blick meiner Tante die Frage zu liegen, warum Gott sie dem Bösen preisgegeben hatte – warum ausgerechnet sie? „Ist denn auf meiner Zunge Unrecht, oder sollte mein Gaumen Böses nicht merken?“ (6,30) In allen anderen Situationen hätte das eine selbstsüchtige Frage sein können. Hier war es die Frage nach dem Sinn, die Kernfrage Hiobs: Wie sind das Leid und die Ungerechtigkeit in der Welt in Einklang zu bringen mit dem Bild, das uns von Gott gelehrt wurde?

Aus: “Der Schrecken Gottes” von Navid Kermani

Koffein, Selbstbefriedigung und Instrumental-Musik

Neulich ging ich mit einem Freund in der Uni-Mensa essen. Auf dem Rückweg zur UB stach uns eines der „Jesus lebt!“-Plakate ins Auge, die doch recht vehement die ein oder andere Feierlichkeit überklebten. Neugierig schaute ich mir ein Plakat etwas genauer an – die Schrift war stellenweise sehr klein und ich musste echt nah ran gehen. Im Wesentlichen stand dort etwas wie „Jesus kam in eine verdorbene Welt, verdorbene Menschen kommen nicht in den Himmel.“ Als Beispiele für die Verdarbtheit der Welt waren nun einige Begriffe brainstormartig aufgelistet, u.a. „Schwulitäten„, „Kneipe“ und „Koffein“ stand dort. Jetzt ist ja Enthaltsamkeit spätestens seit der Straight-Edge-Bewegung, die im Punk irgendwie ihre Wurzeln hatte, nichts Uncooles mehr. Allerdings dürften einige Hardcore-Fans doch so ihre Probleme damit haben, was ich noch zum Vorschein brachte, als ich den auffällig auf dem Plakat aufgeklebten Begriff „Selbstbefriedigung“ abpiddelte: Im Original stand dort „Instrumental-Musik“. Da war wohl jemand lernfähig. Dumm nur, wenn man einen großen Druckauftrag von Plakaten bestellt und hinterher feststellt, dass sich Sünde ändert. Vielleicht hat der Plakaturheber auch nur irgendwann doch mal in der Bibel gelesen und stieß auf die Geschichte der Eroberung Jerichos (Josua 6) auch mithilfe von Instrumenten. Oder er las von David, der harfespielend König Saul zu beruhigen wusste (1. Samuel 16). Vielleicht war er auch einfach nur mal in einer Kirche, um der Orgelmusik zu lauschen. Jedenfalls stelle ich mir jetzt eine Redaktionssitzung vor: „Scheiße, wir brauchen eine neue Sünde!“ … „Selbstbefriedigung!“ – „Na klar, warum sind wir da nicht eher drauf gekommen?!“. – Ok, Entschuldigung für das Niveau. Aber ich finde, der Begriff beschreibt tatsächlich den Antrieb des Urhebers der Plakate.

Der Freund, mit dem ich zuvor essen war, meinte auf jeden Fall, dass solche Plakate die ganze Sache kaputt machen würden. Ich glaube, dass an diesem Gedanken zwar was dran ist. Allerdings denke ich auch, dass sich jemand mit ernsthaften Beweggründen nicht von solchen Plakaten davon abbringen lassen wird, nach Gott zu suchen.

Nachtrag:
Auf der Seite http://www.bekehrdich.de findet man das Plakat.

PS: Grad ist mir das Tollste an der Seite aufgefallen: Irgendwo unten steht „Ende meiner Homepage„. Mit einem Satz mal eben so alle Festen von Hypertext ins Wanken gebracht, find ich toll.

Was von Darwin übrig blieb

Ich schaute gerade eine Wiederholung der Sendung Wissenschaftsforum auf Phönix mit dem Titel „Was von Darwin übrigblieb… – Die Evolution und ihre Folgen„. Ein Gedanke zu Beginn vom Darwinliebhaber gefiel mir, der darauf verwies, dass zwar Konkurrenz ein treibendes Prinzip der Evoulution nach Darwin sei, dazu aber Vielfalt eine unbedingte Notwendigkeit sei. Also letztlich das stärkste Argument gegen einen Sozialdarwinismus von Darwin selbst. Ansonsten war ich doch eher auf der Seite des Theologen, nicht nur, weil er schön zugespitzt formuliert hat. (Kostprobe von anderer Stelle: „Experimente der Hirnforschung auf der Suche nach Gott sind ungefähr so sinnvoll wie das Zerlegen eines Fernsehgerätes auf der Suche nach Ulrich Wickert.“)  Er hat auch deutlich gemacht, dass das Interessante an Evolution die Prozesshaftigkeit ist, dass man aber all zu schnell ihre Gesetzmäßigkeiten auf jeden Prozess zu übertragen versuche. Zumindest hab ich mir das so rausgezogen. Jedenfalls vergisst man meiner Ansicht nach zu schnell, dass die Naturwissenschaften beschreibende Wissenschaften sind und darin auch ihre Stärke liegt. Schwach wirds aber dann, wenn man das vergisst. Oder anders gesagt: Wer nur genug beschreibt, erklärt noch lange nichts.

Atheisten sind aber gläubig

Ich bin vor kurzem, nachdem ich diesen tp-Artikel samt Kommentaren geleesen habe, hier über diesen Gedanken gestolpert:

Der gern geäußerte Vorwurf , beim Atheismus handle es sich auch nur um eine weitere Religion, entspringt der Vorstellung, auch derjenige sei abergläubisch, der keine Angst vor schwarzen Katzen hat.

Nach ein wenig Grübeln hab ich bemerkt, dass der Gedanke nicht funktioniert. Schließlich steht die Existenz der schwarzen Katze nicht infrage. Auch hab ich nach Leesen dieses Eintrags den Eindruck, dass der Autor der Seite sich in den Kategorien verstrickt, gegen die er kämpft.

Jetzt gehts mir nicht um die Ehrenrettung eines dialektischen Gedankens. Viel spannender bei dem Ganzen finde ich die Frage nach der Bedeutung des Begriffs ‚Glauben‘, was ja letztendlich in all dem steckt. Ich stell mir jetzt mal vor, ich sei jemand, der, hoch reflektiert, dabei nicht unnötig affektiert sondern eher ehrlich und bescheiden, sich selbst als Atheist bezeichnen würde. Ich würde vermutlich auf Kirche, Religion, die Welt verweisen, die Klugheit der Antike, die wenige im europäischen Mittelalter betonen und so versuchen aufzuzeigen, dass es eine schlechte, von Menschen gemachte Welt sei, die aber, weil sie von Menschen gemacht sei, besser werden könne, eben genau dann, wenn die Menschen erkennten, wessen Geistes Kind sie wären und sich von den Verblendenden Reden derer befreiten, die da an eine moralische Vormacht außerhalb dieser Welt glauben. Ich würde also versuchen, die Menschen von ihrem schlechten Glauben zu befreien, einer Unvernunft, die nicht auf Erkenntnissen, auf Fakten, Logik, auf Beweisbarem sondern auf blinden Vorstellungen beruht. Ich wäre der Ansicht, dass die Kategorie ‚Wissen‘ über der des ‚Glauben‘ steht, da ja schließlich etwas zu wissen valider sei, als etwas zu glauben. In all dem würde ich nicht loskommen können von den Ansichten derer, die da glauben, würde sie insgeheim lächerlich finden, ihnen das aber nicht so deutlich offenbaren wollen, würde mich damit beschäftigen wollen, was jemanden dazu treibt, zu glauben, obwohl er wissen kann. Mit der Dauer der Auseinandersetzung mit Religionen und Kirchen würde ich vermutlich verbitterter, weil ich sehen würde, wie sich die Naivität überall wiederholt und ihre Kreise zieht. Irgendwann vor meinem Tod würde ich den Kopf schütteln und denken: „Ich habe es richtig gemacht – mit allen Fehlern, die dazugehören, aber im Grundsatz richtig.“ Ich weiß nicht, ob ich jemals erkannt hätte, dass ich andere letztlich nur von meinen Ansichten hätte überzeugen wollen. Ich hätte wohl nicht beachtet, dass man fremde Erkenntnisse nur glauben kann.

Naja, zum Glück lebe ich ja nicht hoch reflektiert… Glaub ich.

Entweder–Oder

ENTWEDER
Und was ist das Leben anderes als Wahnsinn, und der Glaube anderes als Torheit, und die Hoffnung anderes als Galgenfrist, und Liebe anderes als Essig in der Wunde … Stehet auf, liebe Mit-Verstorbene! Die Nacht ist vorüber, der Tag beginnt wieder seine unermüdete Tätigkeit, niemals, wie es scheint, überdrüssig, immer und ewig sich selbst zu wiederholen.

ODER
So ist also dies, daß wir gegen Gott immer unrecht haben, ein erbaulicher Gedanke; es ist erbaulich, daß wir unrecht haben, erbaulich, daß wir es immer haben. Er erweist seine erbauende Kraft auf zwiefache Weise, teils dadurch, daß er dem Zweifel einhalt tut und den Kummer des Zweifels besänftigt, teils dadurch, daß er zum Handeln ermutigt.

Søren Kierkegaard

Bach, Mendelssohn-Bartholdy und ABBA

Heute habe ich Dank eines Hinweises eines Freundes an einer musikalischen Orgel-Radtour teilgenommen. Gestartet hat das Ganze in der Kirche am Kirchberg in der Nähe von Lollar. Dort spielte der Busecker Dekanatskantor verschiedenste Stücke, die meisten haben mir ganz gut gefallen. Ich hab Orgelmusik auch schon immer irgendwie faszinierend gefunden, nicht erst seit „In the Garden of Eden„, auch schon früher in Wissenbach, wo wir – wenn ichs nicht total verpeile – eine pneumatische Orgel haben, was zu den sonst üblichen mechanischen eher selten ist. Jedenfalls spielte der Dekanatskantor zunächst Bach, dann Pachelbel, später auch was von Wagner. Als dann nach geschätzten 20 Minuten ein Notenbuch auf die Notenhalterung der Orgel gelegt wurde, auf dem in großen goldenen Buchstaben das Wort „ABBA“ zu lesen war, war ich zunächst verwundert, später dann ziemlich angetan von dem durch Wäscheklammern im Buch markierten „Medley“. Zwar mag ich ABBA-Musik nicht unbedingt allzusehr, allerdings war da so ein kurzes Gefühl, dass in dieses heilige Gebäude ein bisschen mehr Wahrheit reingelassen wurde…

Wir fuhren dann per Rad nach Mainzlar in eine sehr kleine Kirche, in der neben älteren Orgelstücken – darunter Ach wie flüchtig, ach wie nichtig von Georg Böhm, was mit seinem vorreformatorischen Gesangs-Intermezzo schon einem ein Gefühl dafür hat geben können, wie man sich fühlt, wenn man überall nur vom Fegefeuer hört – zum Ende auch ein Akkordeon zum Solo-Einsatz kam. Ziemlich beeindruckend, was aus so einem Ding rauszuholen ist. Vom Klang natürlich nicht so kraftvoll wie eine Orgel, aber tänzerischer … Tanzende Orgel wäre vielleicht ein gut beschreibender Begriff. Jedenfalls waren sowohl die klassisch europäische Musik als auch der argentinische Tango hörenswert.

Wir fuhren dann nach Treis. Dort hörten wir wieder diverse Adaptionen wie bspw. von „In dir ist Freude“ oder „Danke für diesen guten Morgen“, welches als „Eine kleine Dankmusik“ mit Mozart-Klängen vermischt wurde. Ganz ok eigentlich, bis auf das ausgelutschte „Danke für diesen guten Morgen“-Thema halt… Danach gabs dann im Gemeindehaus Kaffee und Kuchen, dann gings zurück.

Auf der Rückfahrt hab ichs dann auch tatsächlich geschafft, mit meinem Mountainbike samt Clickpedalschuhen an einer Straße mitten in den Fahrradpulk zu geraten und klinkte dann schnell links aus, weil links aber plötzlich alles voll war, musste ich mich nach rechts auf den Boden fallen lassen. Das Lachen des älteren Herrns mit dem motor-betriebenen Fahrrad, den ich zuvor am steilen Berg mit den Worten „Das ist aber gefuddelt!“ überholt hab, fand glaube ich nur in meinem Kopf statt… (So ein Motor-Fahrrad ist schon geil irgendwie – der ältere Herr fuhr so leichtfüßig in akzeptabler Geschwindigkeit bergauf, das sah einfach cool aus. Ich überlege derzeit, mir nen Motor an mein Hardtail zu installieren…) Aber die Leute waren glaube ich ehrlich besorgt. Zum Glück ist mein rechtes Knie aber eh schon kaputt, trotzdem ist Hinfallen mit dem teuersten, pardon: zweitteuersten, Fahrrad einfach uncool.

Nächste Woche ist wieder sowas, vielleicht hab ich ja noch mal Bock drauf. Die Orgel ist einfach die Königin der Instrumente.

Aus den Aufzeichnungen: Gedanken zur Entwicklung

Folgende kurze Zeilen sind nicht von mir – ich habe sie Aufzeichnungen entnommen, die mir neulich durch einen Zufall in die Hände gefallen sind. Ich stelle hier zunächst nur einen kurzen Ausschnitt vor, der, wie ich finde, in sich geschlossen wirkt. Das Problem ist nämlich, dass innerhalb der Aufzeichnung kein wirklicher Zusammenhang zu erkennen ist – eben dadurch, dass viele Gedanken wahllos aneinandergereit scheinen, beinahe wie in einem Tagebuch. Dennoch ist durch alle Texte hindurch eine unbestimmbare Kontinuität erkennbar, die berechtigen, unten Stehendes als einen Ausschnitt zu bezeichnen.

Gedanken zur Entwicklung

Wenn es nun aber eine Evolution gibt – und die Frage lautet eher, welche Bedeutung damit verknüpft ist … –  wenn es nun aber eine Entwicklung gibt, deren Antrieb der Zufall, deren Zweck, Ziel und Sinn der Fortschritt ist, dann muss man mir erklären, warum sie genauso und in diese Richtung stattfindet (also: warum der Fortschritt der Sinn der Entwicklung ist). Was treibt Materie (oder besser: das, was man allgemein hin damit bezeichnet) dazu an, dass sie einen Geist, ein Bewusstsein, erschafft, der sie selbst in Frage stellt? Oder sollte ‚Geist‘ tatsächlich nur ein überaus komplexes synaptisches Netzwerk sein? – Ein Netzwerk, welches sich urplötzlich durch Vorstellungskraft, also durch konstruierte Wahrnehmung, entschließt zu bemerken: „Hoppla, ‚ich‘ bin ja mehr als die Summe und das Zusammenspiel von Wahrnehmung!“? .. Dieses ‚Ich‘-Erkennen ist an und für sich der beste Hinweis darauf, dass es gerechtfertigt ist, von den beiden Begriffen Materie und Geist auszugehen – zumindest,  solange wir keine besseren haben.
Nun aber zu meinem Punkt: Ich glaube, dass es zu der sich selbst bewussten Materie mehr braucht als nur Materie. Ich glaube fest daran, dass es dazu ein göttliches Wort gebraucht hat. Der Zufall kennt schließlich keine Richtung.
Man könnte hier natürlich entgegenhalten, dass wir jetzt, da wir zurückblicken können auf Jahrzehnte, Jahrtausende, Jahrmillionen von materieller und kultureller Entwicklung, die Richtung erst dadurch definieren. Allerdings müsste es schon ein argwilliger Zufall sein, der sich selbst ein Bewusstsein schafft, das im Grunde genommen nur die Wahl hat, ihn in Frage zu stellen oder als Alternative selbst sinnlos zu sein.
Kouska hat bereits in faszinierender Weise ausgeführt, dass entweder die Wahrscheinlichkeitstheorie selbst  falsch sein muss oder es gibt keine gelebte Welt mit dem Menschen als bewusstseinschaffende Kreatur. Anders gesagt: Die Wahrscheinlichkeit meiner Existenz ist statistisch betrachtet so gering, dass sie mathematisch als unmöglich bezeichnet werden muss. Wenn es aber unmöglich ist und ich trotzdem bin, dann gibt es einen Widerspruch, der sich nur in Sinn auflösen kann, indem sich alles in der Bedeutungslosigkeit verliert. Und dagegen glaube ich.

Ich empfinde diese kurzen wenn auch gelegentlich holprig dargelegten Gedankengänge als interessant; wenngleich man das Gefühl hat, dass der Autor an der ein oder anderen Stelle sehr springt und man irgendwie mehr von ihm wissen möchte, um zu verstehen, was er meint, so wirken sie gerade dadurch echt, dass vielleicht eben keine klare Linie zu erkennen ist, wie es beispielsweise bei einem Aufsatz üblich ist, der sich an einen konkreten Leser richtet. Worauf sich der Autor bezieht, wenn gegen Ende von den Ausführungen Kouskas die Rede ist, blieb mir bislang verborgen. Sein Anliegen wird dennoch deutlich, denke ich. Ich habe den Zeilen, da der Verfasser selbst es versäumte, ihnen einen Titel zu geben – vielleicht empfand er es in seiner Situation als unnötig –, eigenmächtig diesen Namen gegeben. Zwar weiß ich nicht, ob er damit einverstanden gewesen wäre, aber so ganz nackt wollte ich die Gedanken dann doch nicht hier stehen lassen.

Die Passion Christi

Ich war gestern bei einer Filmvorführung in der FEG in Wissenbach, wo anlässlich der jetzigen Feiertage der Film „Die Passion Christi“ gezeigt wurde (mit offiziell lizenzierten Vorführrechten, wie der Veranstalter nicht müde wurde zu betonen – wobei ich immer gedacht hatte, wenn man das nicht kommerziell macht sondern quasi vereinsintern, braucht man dafür keine Lizenz, aber: ich scheine mich geirrt zu haben; oder zählt ein Vereinshaus zu den eigenen vier Wänden?).
Auf jeden Fall hatte ich den Film noch nicht gesehen – war eigentlich nie so scharf drauf – und dachte mir, dass ich das ja jetzt mal nachholen könnte. Ich muss zugeben, dass ich schon vorurteilsbeladen in den Film gegangen bin, sowohl weil man mich wohl als Christ bezeichnen könnte als auch weil ich wenig von Versuchen halte, inneren Wahrheiten eine (scheinbar unabänderliche) äußere Gestalt zu geben.

Und so fand ich den Film dann auch wirklich nicht gut. Was teilweise an Gewaltdarstellungen zu sehen war, war tatsächlich schon krass, aber mir haben sich dann doch auch einfach Details aufgedrängt wie der faltenwerfende Latexüberzug, auf dem die Maske die Wunden des Jesus-Darstellers anfertigen konnte. Sah man stellenweise halt einfach. Auch der Szene, in der er von diesen fiesen, sadistischen römischen Soldaten ausgepeitscht wird mit dieser Peitsche mit Widerhaken, die sich in seine Seite bohren und Fleischfetzen herausreißen, sah man deutlich die Computeranimiertheit an. Es ist halt doch nur irgendwie ein Film, der sich den Kriterien der Filmtechnik unterwerfen muss, auch wenn er etwas Heiliges thematisieren möchte.

Krasser in dem Zusammenhang der Gewaltdarstellung war für mich übrigens das Ausufernde, in dem das Ganze dargestellt wurde. Es war die ganze Zeit der Zeigefinger der Moral zu spüren, der mir sagen wollte: „Schau dir an, wie sehr er leiden musste! Das ist das Schlimmste, was jemals ein Mensch hat ertragen müssen!“ Und irgendwie bin ich nach dem dritten zusammenbrechenden Hinfallen der Jesus-Figur auf dem Weg zur Kreuzigung abgestumpft. Da konnte auch die gefühlsbestimmende Hintergrundmusik mir beim besten Willen nicht mehr helfen… (Ein Nebengedanke: Ist das Leid, das man bei einem geliebten Menschen mitansehen muss, für einen selbst nicht um ein Vielfaches stärker als jenes, welches man selbst aus freiem Entschluss erduldet? Insofern muss unser Gott ein über alle Maße leidender Gott sein, wenn er seine Menschen liebt…)
Was mich an dem Film aber wirklich zutiefst empören ließ (innerlich, ich hab niemandem in dem Saal seine Gefühle zu der Sache streitig machen wollen), war die echt albern wirkende Teufelsdarstellung. Gleich zu Beginn, nachdem dieser Jesus im Garten Getsemane mit Gott um die Unabänderbarkeit des Bevorstehenden ringt, seine Jünger dann schlafend statt wachend vorfindet und sich anschließend abermals ins Gebet stürzt, erscheint von der Seite eine bleiche, mit einem schwarzen Tuch umhüllte Figur, die mich andauernd in meiner lückenhaften Erinnerung der Schilderungen in den Evangelien erfolglos nach ihr stöbern ließ. Es sollte wohl Satan, die Schlange, in Person sein; weder Mann noch Frau, ganz das hinterlistig Böse verkörpernd wollte er wohl diesen Jesus versuchen, damit der sein Schicksal ändere. So zumindest hab ich das verstanden. Der erste Gedanke, als ich diesen Typen sah, war: „Meeiiin Schaaaaatz“ … Er tauchte dann auch immer wieder auf, mal als Schatten, als der Verräter Judas von Kindern (, die mit dämonenverzerrten Fratzen wohl seine teufelsgegebenen Wahnvorstellungen sein sollten,) aus der Stadt gejagt wird und sich bei einer von Maden zerfressenen Eselsleiche (jener Esel, der zuvor noch mit Palmwedel in Jerusalem begrüßt wurde?) das Leben nimmt, mal mit einem missgebildeten Kind/Kleinwüchsigem auf dem Arm, während er an der Geißelungsszenerie an der Jesus-Figur seltsam süffisant vorbeischreitet. Seinen entscheidenden Auftritt hat er dann am Schluss, als dieser Jesus am Kreuz seinen letzten Atem ausstößt. Satan wird da am Boden kniend, die Hände emporstreckend und mit einem Schrei der endgültigen Niederlage dargestellt, während die Kamera, den Blick nach unten auf Satan gerichtet, in bester Dramaturgiemanie in den Himmel entfährt.
Alles schwer albern, wie ich fand.
Auf Wikipedia ist übrigens zu lesen, dass der Film historisch gar nicht so korrekt ist, wie er sich in seinem deutsch untertiteltem Aramäisch/Latein gibt. Auch ist die Story des Films aus den vier Evangelien zusammengewürfelt und einige Begebenheiten waren mir völlig neu.
Bleibt zum Abschluss der Kritik noch die Frage an alle, die den Film schon mal gesehen haben: Welche Augenfarbe hatte dieser Jesus? Und warum?

Aber wie dem auch sei, einigen bei der Filmvorführung schien Mel Gibsons Film recht nahe gegangen zu sein und auch irgendwas Inneres berührt zu haben – das will ich niemandem nehmen. Nur war das bei mir nicht so und so ist es dann auch zu erklären, dass ich nach Filmende, als alle zutiefst betroffen geschwiegen haben, ich in die Stille ziemlich nervig mit dem Schlüsselbund geklimpert hab, penetrant lange, weil ich noch jemandem einen Schlüssel zurückgeben wollte, den ich mir geliehen hatte und ich befürchtete, es sonst zu vergessen. Hab dann erst danach gerafft, dass alle so ruhig waren, weil sie tief betroffen waren. Etwas ungeschickt von mir, war aber keine böse Absicht. Wie das halt so ist mit Fettnäpfchen…

Der geilste Satz des Abends soll dann hier auch noch Erwähnung finden. Der Filmvorführer erzählte zu Beginn eine Kleinigkeit über den Film und eben auch über Mel Gibson, als er den wahrhaft pointierten Satz (unabsichtlich, dessen bin ich mir doch ziemlich sicher) äußerte: „Mel Gibson ist streng katholisch erzogen worden; trotzdem steht er fest im Glauben.“

Mein abschließendes Fazit, bewusst provozierend: Mir sind Jesus-Verfilmungen wie „Das Leben des Brian“ lieber, in denen nicht der Anspruch erhoben wird, die Wahrheit abzubilden. Mit denen kann man ehrlicher umgehen, weil sie viel leichter zu durchschauen sind.

Vielleicht richtet sich meine (lange und stellenweise ausufernde Kritik) ja auch gegen das, was Drewermann im Johannesevangelium mit „Gottesbesitzer“ übersetzt hat (ich hab vor Kurzem schon mal auf Drewermanns Johannsevangelium hingewiesen). Und so will ich zum Abschluss allem Abbilden von Wahrheit nicht den Satz aus 2. Mose 20,4: Du sollst dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist. stellen, sonder vielmehr Jesus selbst zu Wort kommen lassen, als er im Zusammenhang mit der Heilung eines Blindgeborenen einigen Pharisäern (=Gottesbesitzern) offenbart:

Zum Gericht bin ich in diese Welt gekommen, auf daß die Nichtsehenden sehen und die Sehenden blind werden. [Und] etliche von den Pharisäern, die bei ihm waren, hörten dies und sprachen zu ihm: Sind denn auch wir blind? Jesus sprach zu ihnen: Wenn ihr blind wäret, so würdet ihr keine Sünde haben; nun ihr aber saget: Wir sehen, so bleibt eure Sünde. (Johannes 9,39ff)

Und wenn es Garfield niemals gegeben hat? – Depressiv aufhellende Gedanken

Garfield minus Garfield

[…] Das Ergebnis der Retusche ist ein Comicstrip über Garfields Herrchen Jon – und das verstörende Porträt eines Single-Lebens in den amerikanischen Suburbs. „Hattest du je das Gefühl, eine ganze Menge zu verpassen“, fragt Jon den Leser. Wo im Original Garfields leidlich sarkastische Antwort („Ja. Ist das schlimm?“) den Strip zwangspointiert, sind in der neuen Fassung nur zwei Panels mit dem ins Nichts stierenden Jon zu sehen. Keine Erlösung durch dumme Antworten. Nur Leere.

Leere ist überhaupt die alles dominierende Botschaft der „Garfield minus Garfield“-Strips. Da die Originale aus jeweils drei Bildern bestehen und Garfield die Hauptrolle in der Reihe innehat, bedeutet dies für die neuen Versionen, dass in vielen Panels nach der Retusche gar nichts mehr zu sehen ist. Jon, der sich Maiskolben in Mund und Ohren steckt. Und dann: nichts. Jon, der fragt „Wie ist der Salat?“ Und dann: nichts.

Garfield wurde wegretuschiert. Und? Weg ist er damit nicht. Der gedankliche Trick: Natürlich braucht man Garfield, um ihn retuschieren zu können. Der „Garfield minus Garfield“-Strip funktioniert nur, weil es Garfield in Wahrheit gibt. Jons einsame Depression funktioniert nur mit dem gedanklichen Garfield – auch wenn der erst wegretuschiert werden muss…

Vielleicht ist das die dialektische Antwort auf die depressive Gewissheit derer, die die Antwort nicht ertragen können: Das Leben hat einen Sinn. Die Gewissheit, dass das Leben sinnlos ist, kann logisch-dialektisch nur funktionieren, weil es einen Sinn gibt (, der verloren ging, wegretuschiert wurde, was auch immer).
Und: Viel lieber als diejenigen, die sich wie Jon der Resignation hingeben, sind mir doch jene, welche den Kampf gegen die Sinnlosigkeit aufnahmen. Deren Waffe ist interessanterweise das Leid. So wird zum Beispiel im Zusammenhang mit Heinrich Heines Matratzengruft gesagt:

Man mag den Tod ignorieren können, aber nicht den Schmerz. Büchners „Riß in der Schöpfung“, den das „leiseste Zucken des Schmerzes, und rege es sich nur in einem Atom“, erzeugt, läßt vielleicht erst erahnen, daß die Welt eine Schöpfung und also nicht alles ist.
(Navid Kermani: Der Schrecken Gottes, Seite 37)

Dazu (mal wieder) Blumfeld:

Soviel ist klar: Wir sind nicht neu,
Schon lange hier sind wir wie Risse in der Schöpfung. […]

Was mach ich bloß an dieser Stelle,
An der ich längst noch nicht zu mir gekommen bin,
Wo ich mich kreuz und quer zerstreue –
In alle Himmelsrichtungen
Denk ich mich dauernd zu Dir hin.

Ich beende diese Hardcore-Gedanken-Session mit Hiob, dem Ewigen, der von Gott sagt:

Siehe, tötet er mich, ich werde auf ihn warten, nur will ich meine Wege ihm ins Angesicht rechtfertigen.

Das Gesetz der Freiheit

Ich bin gerade dabei, ein wenig zu backen für den Abend heute mit den Leuten aus dem Fronhäuser Hauskreis (, der in Manderbach stattfinden wird), wo ich heute zum letzten Mal sein werde (zumindest fürs Erste, wer weiß, was kommen wird), da ich ja bald nach Gießen ziehe. Auf jeden Fall geht grade der Teig zur The Bedlam in Goliath, Zeit genug also, sich über ein paar Gedanken her zu machen.

Im Gottesdienst heute war ein Wort aus Jakobus dran, wozu verschiedene Leute was gesagt haben. (Immer wenn in der Freien Gemeinde kein Prediger da ist, gibts ne gemeinschaftliche Wortbetrachtung; so eben auch heute.) In Jakobus 1, 19-27 gings offiziell um das Thema „Hören“. Neben den vielen Gedanken der Leute ist mir schon beim Zuhören aber später auch noch durch die vertiefende Auslegung eines Gemeindemitglieds besonders dieser eine Vers mit seinen beiden Vorläufern (23-25, Elberfelder Übersetzung) im Kopf hängen geblieben:

Denn wenn jemand ein Hörer des Wortes ist und nicht ein Täter, der gleicht einem Mann, der sein natürliches Gesicht in einem Spiegel betrachtet. Denn er hat sich selbst betrachtet und ist weggegangen, und er hat sogleich vergessen, wie er beschaffen war. Wer aber in das vollkommene Gesetz der Freiheit hineingeschaut hat und dabei geblieben ist, indem er nicht ein vergesslicher Hörer, sondern ein Täter des Werkes ist, der wird in seinem Tun glückselig sein.

Die Flüchtigkeit dieser Welt – hier der vergessliche Hörer, der das wahrhaftige Wort vergisst wie ein Mensch, der in den Spiegel schaut und sein Selbst alsbald vergisst – ist auch das, was Jakobus etwas später wieder aufnimmt:

Was ist euer Leben? Ein Dampf ist es ja, der eine kleine Zeit sichtbar ist und dann verschwindet. (Jak 4,14)

Über das Gesetz der Freiheit erfahren wir im Johannesevangelium vom Christus höchstpersönlich

[…] ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt. Daher sagte ich euch, daß ihr in euren Sünden sterben werdet; denn wenn ihr nicht glauben werdet, daß ich es bin, so werdet ihr in euren Sünden sterben. Da sprachen sie zu ihm: Wer bist du? […] Wenn ihr den Sohn des Menschen erhöht haben werdet, dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin, und daß ich nichts von mir selbst tue, sondern wie der Vater mich gelehrt hat, das rede ich. Und der mich gesandt hat, ist mit mir; er hat mich nicht allein gelassen, weil ich allezeit das ihm Wohlgefällige tue. Als er dies redete, glaubten viele an ihn.

Jesus sprach nun zu den Juden, welche ihm geglaubt hatten: Wenn ihr in meinem Worte bleibet, so seid ihr wahrhaft meine Jünger; und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. (Joh 8,23ff)

Drewermann übersetzt übrigens Wahrheit mit Unverborgenheit Gottes.

Also, weil der Teig schon lange fertig gegangen ist und Mars Volta auch schon seit geraumer Zeit zu Ende gespielt haben, komme ich hier mal zu nem Punkt:
Das Gesetz der Freiheit ist, Gott in seiner Unverborgenheit wahrhaft zu erkennen und diese wahrhaftige Erkenntnis festzuhalten, ihr zu Vertrauen. Das ist letztlich das einzige, das uns stützt gegen die Vergänglichkeit dieser Welt. Ich gebe zu, dass das nicht so einfach ist, bedeutet es doch, gegen die Welt zu glauben, in der wir leben. Dabei jedoch gilt sich bewusst zu machen: Diese Welt ist nicht das Leben.

PS:  Ich hab ein schlechtes Gewissen, weil ich gestern zu viel Whisky getrunken habe – bei einem Freund, dem ich diesen Whisky zum Geburtstag geschenkt hatte. Er hatte ein Glas und ich vier oder fünf. Allerdings: Wir haben uns dabei für diesen Gottesdienst verabredet. Ohne den Whisky, der übrigens nicht nur ein schlechtes Gewissen gemacht hat, hätte ich also wahrscheinlich nichts von Jakobus zum Gesetz der Freiheit erfahren.

Die ersten Blogbuchstaben

Zugegeben: Neu ist die Idee nicht. Auch bin ich nicht erst die vierte oder fünfte Person, die auf die Idee kommt, ein eigenes Blog einzurichten – sucht man nach dem Wort Blog in der großen Maschine, gibt die zehnstellige Zahl einen ungefähren Geschmack auf meine Position in der Rangfolge dieser „neuen Idee“. Aber ich halte es da mit dem Prediger: „Es gibt nichts neues unter der Sonne.“ Somit bestätigt sich zumindest für mich Kierkegaards These, dass die Wiederholung die progressivste Kategorie ist, die wir kennen. – Dabei bin ich mir jetzt gar nicht sicher, ob es Kierkegaard war, der ihn selbst geäußert hat oder ob dieser Gedanke nur ein Dasein in meinem Kopf bekam, als ich Kierkegaard geleesen hab. Letztlich wärs ja auch irgendwie das gleiche. Ach ja, an die Unwissenden: Ja, es heißt „geleesen“. Wenn ihr dran bleibt, erzähl ich vielleicht irgendwann mal, warum…

Im Großen und Ganzen solls bei der Seite druckschrift.net darum gehen, den ganzen Gedanken, die sich geradezu parasitär in meinem Inneren eingenistet haben, ein Äußeres zu geben. Dazu scheint es mir am besten geeignet, verschiedene Kategorien auf dieser Seite einzurichten, so wie man das ja auch im Nicht-virtuellen Raum tut, um sich einzubilden, das Leben wenigstens etwas zu verstehen. Bei mir sollen diesen Sinn folgende Kategorien erfüllen: Blogbuchstaben – in denen ich spontan nach Lust und Laune dem Inhalt eine lose Form geben kann, wie es gerade passt -, Von der Wahrheit – hier versuche ich, mir wichtige oder wichtig gewordene eigene oder gefundene Gedanken abzubilden -, Papiere – momentan noch Dinge, mit denen ich mich im Studium beschäftigt habe und die vor allem in fester Form vorhanden sind – und Schule – ich bin momentan im Vorbereitungsdienst, wie das Referendariat in Kompetenz-Modularisierungs-Deutsch jetzt heißt (zumindest in Hessen), und will die Seite auch dazu nutzen, die Inhalte SchülerInnen online zur Verfügung zu stellen oder sonst solchen modernen Internetkram damit zu machen.

Ok, ich nutze die Gelegenheit dann auch grade mal, um ein wenig (wirklich kurz und das soll auch die einzig explizite Stelle hier werden) über mich zu erzählen. Ich bin wie gesagt momentan im Referendariat, werde darin für die Fächer Deutsch und Erdkunde an Haupt- und Realschulen in Hessen/Marburg/Gladenbach ausgebildet. Momentan wohne ich noch/wieder in meinem Heimatdorf Wissenbach, wo ich jetzt, da ich in einem knappen Monat wieder nach Gießen ziehe, feststelle, dass mir die Menschen hier doch durchaus fehlen werden. Ich werde mit Jungschar- und Posaunenchorarbeit im CVJM brechen, was mir wahrscheinlich recht schwer fallen wird, weil mir über die ganzen Jahre doch die kleineren und auch die älteren Kinder ans Herz gewachsen sind. Außerdem hab ich trotz aller Meinungsverschiedenheiten zu den dörflichen Politik- und Lebenseinstellungen im Grunde den gleichen Glauben an Gott wie die Leute hier. Ich hab mich neulich leicht angetrunken bei einem Wissenbacher Freund darüber beklagt, dass es doch sehr viele Bauern hier gäbe. Auch wenn mir bei diversen Weltanschauungsäußerungen nur die Wahl zwischen Augenbraunhochziehen und Aufdielippebeißen bleibt, bereue ich mittlerweile die Aussage. Denn der Unterschied zwischen der „Weltkulturstadt Gießen“ und Wissenbach ist im Grunde nur der, dass die Bauern tendenziell etwas gebildeter sind. Bildung bestimmt aber menschliche Wesenszüge deutlich weniger, als man manchmal glauben mag… (Spätestens um 4h im Domizil hat sich so manche Bildung chemisch verflüchtigt.) Übrigens hab ich in Gießen schon während des Studiums etwa sechs Jahre gelebt und viele gute Menschen kennen gelernt, besondere Erwähnung soll hier mal der grandiose AKBp finden, der derzeit leider nur noch aus Sympathisanten besteht… Aber immerhin. Generell ist diese ganze Bildungssache mir ein wichtiges Anliegen, deswegen ist es gut möglich, dass in nächster Zeit noch die Kategorie Bildung hinzukommt. Aber: Auch Kategorien wollen erst einmal gefüllt werden, sonst stimmen sie ein in das Hämmern der Wozu-Fragen, die mein Schädelinneres zum Zerbersten bringen wollen. (Es wird ihnen übrigens nicht gelingen.)

Gut, ich belasse es dabei. Wenns irgendwas gibt, Mail-Kontakt ist oben zu finden. Ich weiß nicht, wie regelmäßig ich hier aktualisieren und schreiben werde, wills aber diesmal gegen den Grundsatz eines Freundes versuchen, der lautet: Was man anfängt, muss man auch aufgeben können.

Der liebestrunkene Beduine

Ein Beduine lebt in der Salzwüste und kann mit dem ungenießbaren Brackwasser kaum überleben. Nach Jahren des Dürstens findet er zum ersten mal Trinkwasser und glaubt, es handele sich um das Wasser des Paradieses. Vom Glück überwältigt, füllt er seine Schale damit und bricht auf, um sie dem Kalifen Ma’mun zu schenken und belohnt zu werden. Tatsächlich trifft er den Kalifen, der gerade von der Jagd heimkehrt.
– Aus dem höchsten Himmel habe ich ein Geschenk gebracht für den Fürsten der Gläubigen.
– Was denn?
– Das Wasser des Paradieses, ruft der Beduine und hält dem Kalifen die Schale entgegen, darin eine warme, übel riechende Flüssigkeit. Ma’mun erkennt sofort, wie es um den Beduinen bestellt ist. Dennoch trinkt er aus der angebotenen Schale, ohne sich den Ekel anmerken zu lassen. Dann sagt er zum Beduinen:
– Wunderbar hast du das gemacht, so ein herrliches, klares Wasser. Es ist wahrlich das Wasser des Paradieses. Nun wünsche dir, was immer du willst.
Der Beduine schildert ausführlich seine elende Existenz in der Salzwüste und überläßt es dem Kalifen, ob der ihn belohne. Da schenkt der Kalif ihm tausend Dinar. Zu Bedingung stellt er allerdings, daß der Beduine sofort umkehre und sich nach Hause in die Salzwüste begebe, da sein Leben hier in Gefahr sei. Als der Kalif nachher gefragt wird, warum er die Bedingung gestellt habe, antwortet Ma’mun:
– Wäre er weitergezogen, so wäre er auf den Euphrat gestoßen und hätte die Wertlosigkeit seiner Gabe erkannt. Diese Beschämung wollte ich ihm ersparen, denn er kam ja von weit her, um mich zu sehen, und hat gegeben, was er zu geben vermochte.

Nachdem er die Geschichte des Beduinen erzählt hat, kommt Attar noch einmal auf  das weite Elend zurück, das in sein Herz dränge und sich täglich verdichte, so daß er aus Kummer über sich selbst am liebsten stürbe: Jede Nacht bringe ihm tausend neue Gaben aus Blut. Aus dem Salzland der Welt komme er, aus dem Staubwind vergeblicher Bitten, ein Schlauch voller Sehnsuchtstränen auf der Schulter. Möge Gott so gnädig sein wie der Kalif zu dem Beduinen. Und so formuliert der allerletzte Vers im „Buch der Leiden“ eine Hoffnung, die Hoffnung freilich der Hoffnungslosen: daß alles nur ein Alptraum sei.

An der Hand zieh mich, wenn du es kannst,
Aus diesem Wirrwar heraus, als wär‘ nichts gewesen.

Aus: „Der Schrecken Gottes“ von Navid Kermani